Nachtflüge: Der Mythos „Falco“
Von Angelika Hager ( 9. 2. 2017 )
Falco wäre dieses Jahr 60 geworden. Anlässlich seines Todestages läuft die Gedenkenmaschinerie wieder auf Hochtouren. Angelika Hager über ihre Begegnungen mit einem Weltstar, den der Ruhm schon früh zu einem Wrack gemacht hatte.
Der Mann, der spätabends durch das Gelände der Wiener Rosenhügelstudios irrlichterte, wirkte transdanubisch. Hawaiihemd, allzu bequeme Trainingshosen, Minipli-Matte im Vokuhila-Stil. Keinerlei Spurenelemente von androgynem Schick, Glamour und Brillantin Brutal waren auszumachen. Hans Hoelzel fehlte an jenem Abend im Winter 1988 die Energie, die Kunstfigur Falco zu aktivieren. Die in den vorangegangenen Jahren so nahtlos kultivierte Symbiose des Realmenschen Hoelzel mit der Cyber-Kreatur Falco hatte erste Risse bekommen.
Nach den Proben für eine Konzerttournee anlässlich seines vierten und, rückblickend betrachtet, entbehrlichsten Albums „Wiener Blut“ (die Tour musste später wegen mangelnden Publikumsinteresses abgesagt werden) fand ein Interview für das Monatsmagazin „Basta“ in einem Beisl ums Eck statt. Hoelzel lud, Fernet-gestützt, zu Rundgängen in seine Psyche ein. Es waren kalkulierte Rundgänge, denn er wusste, dass er in dieser äußerst verletzungsanfälligen Phase seiner Karriere die Beißhemmung der Journalisten zum Überleben brauchte. Von Bruno Kreisky, seinem Idol vor allem in Fragen der Selbstinszenierung, hatte er gelernt, dass die Presse mit Intimitäts-Häppchen gefüttert werden wollte.
Der Fendrich soll bitte nur a Mal, a anziges Mal dort hinriechen, wo i schon des Haxl g’hoben hab
An jenem Abend zog Falco also das Register „waidwund“. In Jogginghosen erzählte er, dass ein echter Popstar nicht in Jogginghosen posieren sollte und dass die in trashigen Teenie-Magazinen inszenierten Fotoromane von Häuslichkeit und kleinfamiliärer Idylle einem Image-Selbstmord gleichgekommen seien. „Oide“, sagte er, „des war mit Sicherheit der Tiefstpunkt meiner Karriere. A Popstar mit an Kinderwagen – des geht halt net.“
Zwischen wohldosierter Verzweiflung und Selbstkritik bäumte er sich schließlich doch noch zu einem Funkenflug der Arroganz auf: „Der Fendrich soll bitte nur a Mal, a anziges Mal dort hinriechen, wo i schon des Haxl g’hoben hab …“
Bereits damals stand Hoelzel, das kleinbürgerliche Umlaut-o tilgte er bereits früh aus seinem Nachnamen, mit dem Rücken zu einer Weltkarriere, die am Steilhang und im Fast-forward-Tempo begonnen hatte. Sein Kunst-Alter-Ego Falco bezeichnete er als „das Monster, das ich mir da herangezüchtet habe“. Als Bassist der Trash-Combo Drahdiwaberl hatte er sich gegen die zottelmähnige Kollegenschaft früh mit Designeranzügen, subversiv adrettem Kurzhaarschnitt und Textmanifesten von dadaistischer Selbstherrlichkeit abzugrenzen gewusst. Gleich mit seiner ersten Single „Der Kommissar“ gelang ihm Anfang 1982 ein internationaler Millionenhit; das im selben Jahr von dem Wiener Robert Ponger produzierte Album „Einzelhaft“ beschleunigte den Erfolgslauf. Nach dem kommerziellen Flop von „Junge Roemer“ (1984) stürmte Falco den Popgipfel schlechthin: Die Single „Rock Me Amadeus“ war drei Wochen lang Nummer eins der US-Charts. „Und was soll jetzt no kommen? Vielleicht a römisch Eins.“ Mit diesen Worten hatte er die freudige Botschaft, die ihm sein Entdecker und langjähriger Manager Markus Spiegel im Hinterzimmer der Wiener Künstlerkantine Oswald & Kalb überbrachte, sarkastisch kommentiert. Die vermeintliche Arroganz war jedoch melancholisch motiviert. Mit der ihm eigenen intuitiven Intelligenz hatte Falco erkannt, dass alles Weitere an diesem Richtwert gemessen würde – und dass er daran nur scheitern konnte.
Der Abend unserer ersten Begegnung 1988 endete seltsam. Als wir gegen Sperrstunde in ein Wirtshaus in der Ziegelofengasse – unweit von dort hatte seine Mutter ihr Milchgeschäft geführt – wechselten, verschwand er plötzlich und kommentarlos. Das Personal des Alten Fassl zuckte nur mit den Achseln. Es war die Verhaltensoriginalität des „Herrn Popstars“ bereits gewohnt. Am nächsten Tag konnte er sich an seinen brüsken Abgang nicht mehr erinnern.
Ich habe Falco in der „Hoch wie nie“-Phase nicht persönlich erlebt. Als Redakteurin des Monatsmagazins „Basta“, das als Wiederaufbereitungsanlage von Promi-Befindlichkeiten angelegt war, war ich fast zwangsläufig dazu verdonnert, Falcos stetige Talfahrt und die damit verbundenen Reanimationsversuche seiner Karriere aus bisweilen beklemmender Nähe zu beobachten. Denn weder mit „Data de groove“ (1990) noch mit dem Album „Nachtflug“ (1992) konnte er je dort wieder hinriechen, wo er Jahre zuvor schon das Bein gehoben hatte.
Anlässlich seines Todestages am 6. Februar rotiert die Falco-Gedenkenmaschinerie. Der Mythos vom Weltstar, der an seiner Rock-’n‘-Roll-Psyche zerbrach, wird dabei nach Kräften genährt. Dass der Höhenflug des Falken gerade einmal fünf Jahre dauerte, sein unaufhaltsamer Abstieg dagegen ein rundes Jahrzehnt, wird in der posthumen Verklärung gern ausgeblendet. Und jene Produzenten, Kollegen und „Freunde“, die Falcos Abgleiten in die Tragik zeitweise nicht ohne eine gewisse Häme aus der ersten Reihe fußfrei beobachtet hatten, gerieren sich heute gern als Sachwalter einer schamlos verfälschten Legende.
Abgewrackt und fertig. Als der Grunge kam, war es für ihn vorbei
Schmerz lösen die Bilder von Falcos letztem Konzertauftritt zu Silvester 1997, also knapp fünf Wochen vor seinem Tod, aus: ein Werbeauftritt für „Excalibur“, den Duty-free-Laden seines Freundes Ronnie Seunig nahe der tschechischen Grenze. In einem schwarzen Gummifrack bewegt sich Falco in zackigen Bewegungen zu Playback-Klängen vor einer riesigen Werbetafel. Das mäßig tobende Publikum ist überschaubar. „Sehen Sie sich ihn an“, hatte Hannes Rossacher, Musikvideo-Produzent und Mythos-Profiteur, angemerkt, als er Anfang 1999 anlässlich eines profil-Interviews das Material vorführte. „Abgewrackt und fertig. Als der Grunge kam, war es für ihn vorbei“ (profil 6/99).
In den Jahren zuvor hatte Falco in jener Promi-Riege, mit der man bei einem Magazin wie „Basta“ sein Boulevard-Auslangen finden musste, dennoch unantastbaren Chefpatienten-Status genossen. Obwohl er in den Interviews, die wir zwischen 1988 und 1994 führten, stets beteuerte, nicht mehr „als Nömix durch das Disneyland der Yellow Press geistern“ und in Zukunft auf den Spuren von Ernst Jandl und Karl Kraus wandern zu wollen, fütterte er den Boulevard kontinuierlich mit Dramen en gros und en détail. Denn er wusste sehr genau, dass er mit einer Scheidung, einer Amour fou mit einer Séparée-Bellezza, unverblümten Sucht- und Selbstzerstörungsbekenntnissen sowie der „weltexklusiven“ Vorführung seiner Villa in Gars am Kamp (deren Innengestaltung eine Mischung aus Versace-Pomp und Leiner-Biederkeit darstellte) in der öffentlichen Wahrnehmung auf jeden Fall mehr Meter machen konnte als mit Alben- und CD-Rezensionen.
Das Pop-Feuilleton, das Falco seit „Junge Roemer“ (1984) zum New-Wave-Poeten erhoben hatte, ließ ihn auch wegen seines Arrangements mit dem Boulevard schließlich wieder fallen. Den Falken traf das härter, als er zuzugeben bereit war. Denn hinter der Fassade des großspurigen Geniedarstellers steckte nicht nur ein suchtkranker und hochgradig verletzlicher Mensch, der seine Ängste mit Alkohol und Tabletten zu bezwingen versuchte, sondern auch ein durch seine Herkunft komplexbeladener Kleinbürger, der zeitlebens fast verzweifelt um die Anerkennung der Intellektuellen, Literaten und bildenden Künstler rang.
Der Oide is a Ganztagsjob!
Er rächte sich mit Arroganz und der Parodie einer Popstar-Existenz. Den Kauf eines rapperwürdigen Mercedes begründete er so: „Hearst, ich könnte mir vier Neger leisten, die mich durch die Gegend tragen – aber keiner hat sich noch bei mir bedankt, dass ich das nicht tue.“ Als wir einmal zufällig gleichzeitig auf einer griechischen Insel Urlaub machten, traf ich ihn nachts auf seiner Vespa am Hafen. Er trug nur kurze Hosen und eine schwarze Sonnenbrille. Die Schürfwunden auf seinen Knien gaben Zeugnis von den letzten Ouzo-bedingten Ausrutschern. „Na, du alte Dreckschleuder!“, brüllte er. „Ich muss los, denn der Polizeipräsident der Insel hat sich auf einen Besuch angesagt.“ Wie sich später herausstellen sollte, hatte der Polizeipräsident von Patmos nur deshalb beim „Popstar“ (wie Falco sich gern in der dritten Person bezeichnete) um einen Termin gebeten, weil die Nachbarn die lautstarken Auseinandersetzungen, die er nachts mit seiner damaligen Freundin austrug, nicht länger mit anhören wollten. Die Freundin hatte er mir damals als Zahnarztgehilfin vorgestellt. Tatsächlich hatte er sie bei seinen Nachtflügen in Wiens reputierter Animierbar „Nina’s“ kennen und lieben gelernt. Ihr Verhältnis zum Popstar fasste die Lebensabschnittsgefährtin in dem schönen Satz „Der Oide is a Ganztagsjob!“ zusammen.
Als „Basta“ die „Pretty Woman“-Romanze auffliegen ließ, reagierte Falco bravourös: „Sie hat noch immer 28 Hirnwindungen mehr als alle meine Frauen vorher. Und solche Frauen muss man sich erst einmal leisten können.“
Prinzipiell war das Kapitel „Falco und die Frauen“ durchaus für das Schwarzbuch des Feminismus geeignet. Hing der Haussegen schief, bedachte er die gerade aktuelle Dame gern mit dem Terminus „Des Baa“ (das Bein) und gefiel sich in der Rolle des häuslichen Machos: „Hearst, du Baa, wärm ma bitte a Lasagne.“ Wenn die Musen sich seinem pedantischen Ordnungssinn („Schmutzige Aschenbecher können mich depressiv machen“) verweigerten, konnte er, sobald Alkohol im Spiel war, ausfällig werden.
Wahrscheinlich bestand die große Tragik des Hans Hoelzel darin, dass er die Größe seines Talents selbst am allerwenigsten einzuschätzen wusste – sonst wäre er wohl sorgfältiger damit umgegangen.
In der Nähe eines unverstandenen Trinkers wird mir nämlich warm
Meine letzte Begegnung mit Falco fand 1994 statt. Er hatte sich in einer Kuranstalt in Hofgastein einquartiert – offiziell zum Abnehmen, in Wahrheit jedoch, um unter Aufsicht nicht zu trinken. In der Dunkelheit stand er am Tor, mit schwarzen Sonnenbrillen, einer Kapuze über dem Kopf und einer Flasche Fernet-Branca in der Hand. „Hey!“, brüllte er. „Die Schwestern sind schon alle echte Fans von mir und wollen ständig Autogramme.“
Als Geschenk hatte ich ihm ein Video von einem Oskar-Werner-Interview mitgebracht. Den legendären Mimen bezeichnete er oft als Seelenverwandten: „In der Nähe eines unverstandenen Trinkers wird mir nämlich warm.“ Wir sahen uns in seinem Zimmer den Film an. Als Oskar Werner den Satz sagte: „Was soll ma denn machen? Charakter ist nun einmal unser Schicksal“, hob Falco die Flasche und prostete ihm mit den Worten zu: „Oskar, du hast ja so Recht!“
Dieser Artikel erschien erstmals am 26. 1. 2008.
Quelle: Profil