Popstar für immer
Falco ist nicht totzukriegen: Er lebt in vielen Projekten weiter, unter anderem in „F@lco ? A Cybershow“ im Ronacher.
Einmal hat Österreich einen Popstar gehabt. Der Popstar ist vor zwei Jahren gestorben, am 6. Februar. Der Popstar ist mit seinem Auto in der Dominikanischen Republik in eine Straße eingebogen, ein Bus hat ihn gerammt. Der Popstar war sofort tot. Aber irgendwie auch wieder nicht. Denn wenn einer ein wirklicher Popstar ist ? und das war Falco ?, dann lebt er weiter, auch wenn er tot ist. Oder gerade, weil er tot ist: Weil keiner wirklich sagen kann, was aus einem lebenden Falco noch geworden wäre. Aber es ist, auch wenn es zynisch klingt, ziemlich sicher, dass Falco sich beim Weiterleben die Legende nachhaltig ruiniert hätte. Denn gegen Ende seiner Existenz hatte ihn die Art und Weise seiner Existenz schon an den Rand seiner Existenz getrieben: Hatten ihn Alkohol und Kokain, pompös gescheiterte Beziehungen mit Frauen, ein geliebtes Kind, das dann nicht seins war, und ein ziemlich fulminanter Abstieg vom hohen, aber wackeligen Thron des Ruhms einigermaßen zerstört. Als Falco 41 Jahre alt war, war er eigentlich kein Popstar mehr. Dann kam der Bus.
Jetzt ist er wieder einer: Im Ronacher hat diese Woche „F@lco ? A Cybershow“ von Paulus Manker und Joshua Sobol Premiere. Am 17. April erscheint auf Intonation, dem neuen Libro-Label, eine CD mit 14 Songs aus der Show, die gerade während der Proben aufgenommen werden. Der ORF plant für den Herbst einen Film über die Show. Im Berliner Theater des Westens wird am 23. September „Falco meets Amadeus“ uraufgeführt ? das Libretto von Schauspieler und Schriftsteller Burkhard Driest ist fertig, die Auditions sind abgeschlossen, Mitte Juli, heißt es aus dem Theater, werde mit den Proben begonnen. Zwei Biografien, „Falco“ von Peter Lanz und „Hoch wie nie“ von Rudi Dolezal und Hannes Rossacher, wurden längst veröffentlicht.
Dolezal und Rossacher produzierten für Ariola ein „Home-Video“ aus Archivmaterial und arbeiten derzeit an einem Falco-Film für die deutsche Bavaria-Gesellschaft, wollten profil aber nichts darüber erzählen. Vor einem halben Jahr erschien die CD „Verdammt, wir leben noch“ mit zehn bisher unveröffentlichten Falco-Songs. „Out of the Dark“, sein letztes, erst nach seinem Tod erschienenes Album, schaffte es mit dem Song „Egoist“ noch einmal in die Charts ? auch in die deutschen. Demnächst soll unter der Ägide von Andreas Egger („Rockproduktion“) und dem Anwalt Georg Riedl endlich die lange geplante „Falco-Foundation“ Wirklichkeit werden, in der Falcos finanzieller und künstlerischer Nachlass verwaltet werden soll. Zuvor muss nur noch der Erbschaftsstreit zwischen Falcos Mutter ? die dieser als Alleinerbin eingesetzt hatte ? und Falcos Vater, der um einen Pflichtteil streitet, vom Gericht entschieden werden, danach möchte die Foundation junge Künstler unterstützen und ein Museum ? möglicherweise in Falcos Villa in Gars am Kamp ? einrichten. Falco ist wieder wer.
Das war kurz vor seinem Tod nicht mehr so. Von den Produzenten Dolezal und Rossacher, die ? unter anderem mit dem weltberühmten „Rock me Amadeus“-Video ? mitgeholfen haben, Falco zu einem Popstar zu machen, gibt es ein anderes Video, das sehr viel darüber sagt, wie man wieder ein Popstar wird, indem man stirbt. Das Video entstand nach Falcos Tod zu seinem posthum veröffentlichten Song „Push Push“. Es zeigt Falco auf einer großen Bühne: Er trägt einen schwarzen Gummi-Gehrock und bewegt sich zackig. Vor dieser Bühne steht ein riesiger Pulk schöner, enthusiasmierter junger Menschen, die Falco zujubeln und begeistert mittanzen. So wollte es Falco immer haben. So sollte es sein. So sollte es bleiben.
So war es aber nicht mehr ? das Video ist eine technisch perfekte Fälschung oder besser: eine kunstvolle Beschönigung der Realität. In Wirklichkeit, auf dem unbearbeiteten Originalvideo, steht Falco zwar auch auf einer großen Bühne, aber diese Bühne ist eine Werbebühne seines Freundes, des Geschäftsmannes Ronnie Seunig. Falco absolviert dort einen Playback-Auftritt: Hinter ihm ist eine riesige Werbetafel mit dem Exkalibur-Logo montiert, und vor der Bühne sieht man sehr vereinzelte Köpfe auftauchen ? kein großes Publikum. Es ist ein bedrückendes Video, aufgenommen zu Silvester 1997/98 ? zwei Monate vor Falcos Tod. Falco war kein Popstar mehr.
Es gibt diesen 1000-mal zitierten Satz aus einem der Lieder, die erst nach Falcos Tod auf dem Album „Out of the Dark“ erschienen sind. Da sang er: „Muss ich denn sterben, um zu leben“, und das ist noch immer eine schöne, traurige Metapher auf die Realität. Weil für Falco „leben“ und „Popstar sein“ eins waren. Das eine hatte ohne das andere keinen Sinn und keine Qualität, und genau deshalb ist er ja nicht der talentierte Musiker Hans Hölzel geblieben, sondern er wollte der Popstar Falco sein. Das wurde er, das war er, und das ist er wieder.
Paulus Manker ist ebenfalls ein Popstar, wenn auch anders. Aber es trifft sich gut, dass ausgerechnet unter der künstlerischen Leitung des Schauspielers und Regisseurs („Der Vater“, „Alma“) das derzeit aufsehenerregendste Macht-Falco-unsterblich-Projekt über die Bühne geht, und zwar über die Bühne des Wiener Ronacher: Dort inszeniert Manker nach dem Buch des israelischen Autors Joshua Sobol „F@lco ? A Cybershow“. Die orientiert sich sehr lose an der Biografie des Falken und lässt sich am besten charakterisieren, indem man aufzählt, was sie alles nicht ist. Nämlich ? Paulus Manker formuliert das in mit Rufzeichen gespickten Versalien ? „KEIN MUSICAL!!!!“, aber auch keine Revue, kein normales Theater, kein szenisches Konzert, keine Falco-Passion und eigentlich auch keine Show im landläufigen Sinn. Manker spielt in „F@lco“ mit Versatzstücken all dieser Genres, wühlt sich aus jeder Schublade das heraus, was ihm passend und spannend erscheint, und mixt es so durcheinander, dass unterm Strich ein genialer, bombastischer Hybride herauskommt. Maßlos, überschwänglich und voller Brüche ? so wie Falco gelebt hat, als er noch gelebt hat. Die Hauptrollen spielen der deutsche Schauspieler André Eisermann („Schlafes Bruder“, „Kaspar“), die Wiener Poplegende Hansi Lang, der einst mit Hans Hölzel bei der Hallucination Company tätig war, der junge Russe Georgij Makazaria und Alkbottle-Sänger Roman Gregori.
Produziert wird „F@lco“ von einer eigens gegründeten Paulus-Manker-Rockproduktion-Ges.m.b.H., gemeinsam mit den Vereinigten Bühnen Wien. Die Produktionskosten belaufen sich auf satte 23 Millionen Schilling ? bis zur Premiere. Das Stück müsste, meint Koproduzent Andreas Egger ? trotz der finanziellen Unterstützung der beiden Sponsoren Uniqa und Libro ?, rund zehn bis zwölf Monate gespielt werden, bis es sich völlig rechnet; vorläufig wurden an die zuerst geplanten 22 Spieltage noch fünf Zusatzvorstellungen angehängt. Es sei allerdings, meint Egger, bereits ziemlich fix, dass „F@lco“ im Herbst im Ronacher wieder aufgenommen wird, außerdem wird darüber verhandelt, die Show auch nach Deutschland zu exportieren.
Für die musikalische Leitung von „F@lco“ ist Thomas Rabitsch verantwortlich. Er ist einer, der weiß, was er hier tut, weil er Falco gut gekannt hat: Zwanzig Jahre lang hat er für Falco in die Keyboards gegriffen und vor einem halben Jahr als Produzent die CD „Verdammt, wir leben noch“ mit unveröffentlichten Falco-Songs herausgebracht. Songs, die Falco, nachdem er sie aufgenommen hatte, für nicht zuträglich für seinen Ruhm gehalten, aussortiert und nicht fertig abgemischt hatte: Rabitsch brachte sie in monatelanger Feinarbeit so in Form, dass, wie er meint, auch Falco damit einverstanden gewesen wäre.
Einer dieser Songs ist „Europa“, und an diesem Song lässt sich das Dilemma der Spannung zwischen Falco und seinem Werk hervorragend konstatieren: Wenn man ihn von Falco hört, wird er verdeckt von seinem übermächtigen Interpreten, der zum Zeitpunkt der Aufnahme, 1995, vom Leben und vom Kampf mit seinem Image hart gezeichnet war. Indem Manker und Rabitsch den Song von Falco trennen ? im Stück wird er von André Eisermann beeindruckend interpretiert ?, leuchtet erst seine Qualität auf. Zur Premiere von „F@lco“ hat sich eine angesagt, die dieses und jenes Stück ganz gewiss in entschiedener Offenheit beurteilen wird: Falcos Mutter Maria wird sich mit Falcos bestem Freund Ronnie Seunig eine Loge teilen.
Von seinem ersten Soloalbum „Einzelhaft“ an ist Falco an seinem Werk gewachsen, mit seinem Werk verschmolzen und schließlich ? als fast schon künstliche Figur ? über sein Werk hinausgewachsen. Falco und „Der Kommissar“, Falco und „Rock me Amadeus“ waren nie zu trennen, so wie sich Hans Hölzel von Falco nicht mehr trennen konnte.
Und wohl auch nicht trennen wollte, wenngleich nach seinem Tod ständig versucht wurde, den Johann Hölzel und den Falco auseinander zu dividieren. Als Falco am Ende den Superstar allmählich gegen den Poeten auszutauschen begann, der in der Schule für Dichtung aktiv war, mag er auf der Suche nach einem richtigen Leben im falschen gewesen sein. Aber falsch war es für Falco höchstens deshalb, weil es nicht mehr so funktionierte, wie es sollte, und nicht, weil er nicht mehr Falco sein wollte. Johann Hölzel war nur als Falco jemand, und nur als Falco war er gut. Ein Popstar halt.
Quelle: PROFIL 13/2000