Kindheit und Jugend
Am 19.2.1957 um 13.15 Uhr sollte Johann Hölzels ereignisreiches wie schicksalhaftes Leben beginnen.
So problemlos die Geburt verlief, so schwierig gestaltete sich die Schwangerschaft. Maria Hölzel – sie war damals Geschäftsführerin einer Filiale der Wäscherei Habsburg im 14. Wiener Gemeindebezirk – wurde im dritten Schwangerschaftsmonat mit einem Blutsturz in die Frauenklinik Gersthof eingeliefert. Sie verlor Zwillinge und war deswegen sehr niedergeschlagen, denn sie wünschte sich nichts so sehr wie ein Kind – und dann wären es sogarnoch Zwillinge gewesen. Zur Beobachtung behielt man Maria Hölzel über Nacht im Spital. Als der Arzt am nächsten Tag nach der Untersuchung eine Schwangerschaft feststellte, traute sie ihren Ohren nicht. „Sie müssen sich irren, ich habe doch gestern meine Zwillinge verloren!“ erwiderte Maria Hölzel völlig konsterniert. Erst einpaar Augenblicke später realisierte sie, daß sie eigentlich Drillinge erwartet hätte. Die Freude konnte gar nicht richtig aufkeimen, denn der Arzt meinte gleich bestimmend: „Wir machen eine Kürettage, denn wenn Sie zwei Babies verloren haben, dann werden Sie auch das dritte verlieren!“ Dieser Selbstherrlichkeit des Arztes setzte Maria Hölzel energisch und couragiert entgegen: „Nein, wir machen gar nichts!“, denn sie wollte dieses Kind unbedingt – und sie bekam es.
Es war ein großer, kräftiger Bub, wog 4,95 kg, war 54 cm groß und machte schon vom ersten Moment an mit seiner lauten Stimme auf sich aufmerksam. Seine Mutter erinnert sich, daß ihr die Hebamme ihr Kind mit den prophetischen Worten: „Da haben Sie Ihren kleinen Sängerknaben!“ in die Arme gelegt hat. „Wenn alle Babies ruhig waren und eines zu schreien begann, dann konnte man sicher sein, daß es meines war.“
Hans wurde in kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren. Sein Vater Alois Hölzel, ein Niederösterreicher, verlor sehr früh seine Eltern, wodurch ihm jegliche Möglichkeit einer weiteren schulischen Ausbildung genommen wurde. Auf sich allein gestellt, begann er eine Schlosserlehre und arbeitete sich mit viel Fleiß bis zum Werkmeister einer Maschinenfabrik empor. Die junge Familie Hölzel wohnte in einer zirka 70 m² großen Mietwohnung in der Ziegelofengasse Nr. 26 im 5. Wiener Gemeindebezirk. Das Haus, in dem Hans aufwuchs, wurde längst abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Die Mutter von Maria Hölzel bezog, wenige Jahre nachdem Hans geboren wurde, eine kleine Wohnung im Haus gegenüber – direkt über dem Gasthaus „Altes Fassl“, das in späteren Jahren ein Stammlokal von Hans werden sollte, um in der Nähe ihres Enkelkindes sein zu können.
Daß Hans eine musikalische Ader hatte, merkte man schon von frühester Kindheit an. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war, zur Musik im Radio zu dirigieren. Mit der einen Hand hielt er sich am Gitterbett an -er konnte noch kaum stehen -, die andere Hand bewegte er im Takt der Musik. Als er dann etwas älter war, pfiff und trällerte er zu im Radio gespielten Schlagern wie „Anneliese, wann wirst du endlich einmal gescheiter?“.
Hans wuchs unter der Obhut dreier Frauen auf, nämlich Mutter, Großmutter mütterlicherseits und einer Nachbarin, die er liebevoll „Schlintzi“ nannte. Die Großmutter – sie stammte aus Bad Tatzmannsdorf im Burgenland – liebte ihn über alles, las ihm jeden Wunsch von den Lippen ab und ließ ihm alles durchgehen, ein Umstand, den sich Hans immer öfter zunutze machte. Seine Mutter hingegen, die sein ganzes Leben seine wichtigste Bezugsperson sein wird, hielt die Zügel straff, was hin und wieder zu Konflikten mit ihrer Mutter führte. Um das Familieneinkommen etwas aufzubessern, übernahm Maria Hölzel 1959 ein kleines Lebensmittelgeschäft in der Ziegelofengasse. „In den Kindergarten wollte der Hans nie gehen, und so blieb er eben zu Hause. Der Hans war ein sehr angenehmes Kind, ich kann mich nicht erinnern, daß es in irgendeiner Form Schwierigkeiten gegeben hätte. Er war fast überdurchschnittlich brav“, erinnert sich seine Mutter.
Zum vierten Geburtstag wünschte sich Hans eine Ziehharmonika. Eine Musiklehrerin riet den Eltern aber dazu,ihrem Kind Klavierunterricht zuteil werden zu lassen, er könne ja später immer noch auf Ziehharmonika umsteigen. So kauften sie ihm also keine Ziehharmonika, sondern einen Stutzflügel und meldeten ihn bei der Musikpädagogin Dr. Bodem in der Fillgradergasse – unweit der Ziegelofengasse – zum Klavierunterricht an. Hans bekam zweimal in der Woche eine Stunde Unterricht, und seine Lehrerin war sehr zufrieden mit ihrem Schützling. Er habe großes Talent, besonders für Beethoven habe er ein Gehör, sagte sie einmal zu Maria Hölzel, was sie natürlich sehr stolz auf ihren Sohn machte. Obwohl er keine einzige Note kannte, spielte er mit fünf Jahren bereits an die 30 Schlager zweihändig. Wenn er im Radio ein Musikstück hörte, das ihm gefiel, setzte er sich ans Klavier und spielte es nach Gehör nach.
Als Hans etwa viereinhalb Jahre alt war, meldeten ihn seine Eltern zum Vorspielen in der Musikakademie an. Es ging damals um eine Vorausscheidung für einen Wettbewerb im Rahmen der Fernsehsendung „Musik kennt keine Grenzen“, wo Kinder aus verschiedenen Ländern gegeneinander antraten. Hans war damals der mit Abstand jüngste, der zum Vorspielen eingeladen wurde. Der gestrenge Professor brachte ihn danach auf dem Arm mit den Worten: „Frau Hölzel, das ist ein kleiner Mozart, so ein absolutes Gehör ist mir in meiner ganzen Laufbahn noch nicht untergekommen!“ zu seiner Mutter und riet ihr dringend dazu, Hans weiter ausbilden zulassen.
Im September 1963 trat Hans in die Volksschule der Piaristen, eine angesehene katholische Privatschule, in der Ziegelofengasse ein. Da Maria Hölzel den ganzen Tag über in ihrem Lebensmittelgeschäft tätig sein mußte und sich ihrem Kind zuwenig widmen konnte, meldete sie es für das Halbinternat an. Im Dezember 1963 gab es in Hans‘ Schule eine Weihnachtsfeier. Für die musikalische Umrahmung suchte man Kinder, die ein Instrument spielten, worauf sich Hans nach anfänglichem Zögern meldete. Hans spielte den“Donauwalzer“. Es war sein erster Auftritt vor größerem Publikum. Als die letzten Takte noch nicht verklungen waren, brach frenetischer Applaus los, so daß er noch eine Zugabe spielen mußte: „Wiener Blut“, einen Titel, den er viele Jahre später ganz anders interpretieren wird. Am nächsten Tag stürmten die Leute das kleine Geschäft von Maria Hölzel, die bei dieser Weihnachtsfeier nicht dabei sein konnte, und fragten sie, wo denn der Kleine so großartig Klavier spielen gelernt habe.
In der ganzen Schule sprach man vom Wunderkind. Einer seiner damaligen Schulkollegen erinnert sich: „Wenn der Hans gefragt wurde, was er denn einmal werden wolle, sagte er: ,Popstar!‘ Er sagte nicht ,Musiker‘, sondern ,Popstar‘.“
Jeder, der zu Familie Hölzel auf Besuch kam, wollte natürlich etwas von Hans vorgespielt bekommen, was diesem aber absolut widerstrebte. Er sagte schon vorher immer: „Mama, heute spiel‘ ich aber nicht!“, beziehungsweise verdrückte er sich überhaupt, wenn sich Besuch ansagte. Bestenfalls ließ er sich dazu überreden, ein Stück zu spielen, das war aber das Maximum.
Nach der Volksschule besuchte Hans das Gymnasium in der Rainergasse, von dem er später einmal sagen wird, daß es eine sehr spießige Schule gewesen sei. Die ersten vier Jahre meisterte er anstandslos. Ausgezeichnet war er in Deutsch, wie ihm überhaupt Sprachen lagen, Schwierigkeiten hatte er in naturwissenschaftlichen Gegenständen, besonders in Mathematik.
Ein erster Einschnitt in Hans Hölzels Leben erfolgte, als sein Vater 1968 die Familie verließ. Alois Hölzel drängte seine Frau zur Scheidung, jedoch willigte diese erst viele Jahre später ein. Hans gab immer vor, daß ihm die Trennung seiner Eltern nichts ausmache, tatsächlich aber fehlte ihm sein Vater sehr, er suchte immer nach einem Vaterersatz. Einige Jahre später sagte sein Vater zu ihm – vielleicht auch aufgrund seines schlechten Gewissens-: „Wäre ich zu Hause geblieben, wärst du nie Falco geworden“, denn dieser hatte wenig Verständnis für die hochfliegenden Karrierepläne seines Sohnes.
Den nächsten Schicksalsschlag für Hans brachte das Jahr 1971, in dem seine geliebte Großmutter verstarb. Auch wenn er seine Trauer nicht zeigte, es dauerte lange, bis er den Verlust seiner Großmutter, zu der er eine sehr innige Beziehung hatte, überwand. Maria Hölzels kleines Lebensmittelgeschäft in der Ziegelofengasse ging aufgrund der übermächtigen Konkurrenz der Supermarktketten immer schlechter – sie mußte es aufgeben und nahm daraufhin einen Job als Reisende im Bereich der Werbung bei der Firma Columbia an. Das hieß aber, daß sie Montagmorgen von zu Hause wegfuhr und am Donnerstag oder erst am Freitag wieder zurückkam.
Von dieser Zeit an war Hans ziemlich auf sich allein gestellt. Er bezog die kleine Wohnung mit Klosett am Gang von seiner verstorbenen Großmutter, und „Schlintzi“, die eine Art Großmutter-Ersatz für ihn wurde, kümmerte sich um ihn. Die Schule begann Hans damals immer weniger zu interessieren, immer öfter schwänzte er den Unterricht. Er ging zwar morgens, um den Anschein zu wahren, mit seiner Schultasche pünktlich aus dem Haus, versteckte sie aber dann im nächsten Streusplittkasten und fuhr in den Prater oder zum Fußballplatz. Während dieser Zeit klapperte er Musikgeschäfte in ganz Wien ab und kaufte sich um jene 1.200 Schilling, die ihm sein Vater schenkte, beim Instrumentenhändler Wukitz in der Pilgramgasse eine Gitarre – seinen Stutzflügel rührte er kaum noch an.
In der fünften Klasse brachte es Hans auf über 400 unentschuldigte Fehlstunden, ein Nicht genügend in Mathematik war nicht mehr abzuwenden. Die Schule wurde für ihn immer mehr zur Qual. Er sah in der Schule keinen Sinn mehr, verstand nicht, wieso er irgendwelche Gedichte oder mathematische Formeln auswendig lernen sollte. Dieses, sein ambivalentes Verhältnis zur Schule wird Falco nur ein paar Jahre später in seinem Song „Nie mehr Schule“ verarbeiten. Maria Hölzel stellte ihren Sohn vor die Alternative: „Entweder du wiederholst die Klasse, wie es andere auch machen, oder du gehst arbeiten!“ Ohne zu zögern, antwortete Hans: „Die Klasse wiederhole ich auf keinen Fall,da geh‘ ich lieber arbeiten!“
Seine Mutter, die durch das Geschäft zahlreiche Beziehungen hatte, brachte ihn daraufhin in der Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte in der Blechturmgasse unter. Dort hätte er mit 27 Jahren pragmatisiert werden können, was ganz im Sinne seiner Mutter gewesen wäre. Er arbeitete dort unter den Fittichen eines älteren Mannes im Archiv, welches für diesen so etwas wie ein Zuhause war. Am Morgen frühstückten die beiden ausgiebig und erledigten dann ihre Arbeit, die höchstens zwei bis drei Stunden in Anspruch nahm. Die restliche Zeit philosophierten sie über Gott und die Welt miteinander. Hans gefiel dies sehr gut, er wollte von dieser Abteilung keinesfalls weg.
Anfang der siebziger Jahre stieg die Bedeutung der Elektro- und vor allem der Baßgitarre in der Popmusik. Zu dieser Zeit revolutionierten Gruppen wie Deep Purple oder Frank Zappa die Musikszene. Das veranlasste Hans zum Verkauf seiner Gitarre. Mit dem Erlös und einem Zuschuß seiner Mutter kaufte er sich seine erste Baßgitarre- seit dieser Zeit „sein“ Instrument.
Die Weichen werden gestellt
Die erste Band, in die Hans als Bassist einstieg – er war 17 -, nannte sich „Umspannwerk“. Geprobt wurde im Keller des Hauses in Kaltenleutgeben, das den Eltern eines Freundes von Hans gehörte. Hans überredete seine Mutter, weil Kaltenleutgeben 15 km weit von Wien entfernt liegt und er nicht mobil war, ihm ein Moped zu kaufen. Nun konnte Hans, so oft er wollte, nach Kaltenleutgeben zu den Proben fahren. Auf sein erstes Auto malte er groß „Umspannwerk“.
Mit 17 kündigte Hans seinen Job in der Pensionsversicherungsanstalt, ohne genau zu wissen, wie es beruflich weitergehen solle. Er meldete sich deshalb freiwillig zum Bundesheer und perfektionierte in dieser Zeit sein Baßgitarrenspiel. Damals habe er genau genommen erst richtig gelernt, mit der Baßgitarre umzugehen, sagte Falco später einmal.
Nach seiner Zeit beim Bundesheer besuchte er drei Semester lang das Wiener Jazz-Konservatorium in der Johannesgasse im 1. Bezirk. Er war aber nicht mit großer Freude dabei, vielmehr wollte er seiner Mutter einen Gefallen tun, jedoch vermittelte ihm das Studium die notwendige Theorie, um später als Musiker brillieren zu können, und bestätigte ihn vollends darin, Profimusiker werden zu wollen.
In den späten siebziger Jahren befand sich die Musikszene im Umbruch. Der Punk, von dem Hans von Anfang an fasziniert war, eroberte von Großbritannien aus Europa. Der Kultstar David Bowie, selbst durch deutsche Bands wie Kraftwerk und Can inspiriert, brachte seine wegweisende Berlin-Trilogie „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ heraus und prägte zu dieser Zeit Berlin, was Hans Hölzel dazu bewog, für einige Zeit nach Westberlin zu gehen. Er versuchte, in der dortigen Musikszene Fuß zufassen. Falco sagte viele Jahre später: „Bowie war einer der Gründe, warum ich in Berlin war, ich wollte ihm über den Weg laufen. Bowie war mein Idol. Er hat für die deutschsprachige Popmusik immens viel getan. Das Album ,Heroes‘ (Helden) war für mich eine Initialzündung.“
Als Jazz-Rocker spielte Hans in den verschiedensten Berliner Bands und bekam rund 1.000 Schilling pro Abendauftritt. „Es war zwar eine ganze Menge, aber auch immer weniger, als ich ausgegeben habe. Ich hatte nie Geld in Berlin“, erinnerte sich Falco. Richtig ansässig ist er in Berlin nie geworden, alles in allem verbrachte er rund ein Jahr in Berlin. Viele seiner späteren Lieder reflektieren diese Zeit.
Ende der siebziger Jahre formierte sich rund um den Wiener Szenepapst Wickerl Adam eine Gruppe: das 1.Wiener Musiktheater, aus dem sich später die Hallucination Company entwickelte. Die Konzerte der“Blödelbigband“ fanden in der Bernoullistraße im 22. Wiener Gemeindebezirk im Rahmen der Wiener Institution“Kultur in den Außenbezirken“ statt.
Wickerl Adam wurde eines Tages in der Mödlinger Fußgängerzone auf einen jungen, gut aussehenden Straßenmusikanten aufmerksam, der in einer Band Baß spielte. „Der hat dort in Mödling gespielt, als wenn er im Madison Square Garden spielen würde, als stünde er vor Tausenden Leuten – aber dort war niemand!“, erinnert sich Wickerl Adam. Er wollte den hochbegabten jungen Mann unbedingt für seine Gruppe gewinnen – und Hans Hölzel zögerte nicht.
Schon damals machte sich bemerkbar, daß Hans Hölzel keine Halbheiten die Musik betreffend vertrug, Akribie und Perfektion standen für ihn immer im Vordergrund. Adam: „Ich verlangte acht Stunden Probe täglich, und dem Hans hat das gefallen. Er war immer pünktlich, ein Typ, mit dem man arbeiten konnte.“ Hans wird von seinen Musikerkollegen als damals sehr bescheidener, sehr ruhiger und umgänglicher Typ beschrieben.
Aus Hans Hölzel wird Falco
1978 ging die Hallucination Company erstmals auf Tour. In München war die Show „Halluzinationen“ die Sensation, ausverkauft bis auf den letzten Platz. Am dritten Tag in München kam Hans im silbergrau-schwarzgestreiften Anzug, die kurz geschnittenen Haare mit Gel nach hinten frisiert, zu Wickerl Adam und sagte: „Du, Wickerl, sag heute nicht mehr ,am Baß Hans Hölzel‘, sondern ,am Baß Falco Gottehrer‘!“ Nach ein paar Tagen kam er wieder und sagte: „Wickerl, ,Gottehrer‘ lassen wir wieder weg, bei ,Falco‘ bleibt es!“
Auf den Künstlernamen „Falco“ kam Hans, weil ihn der zu dieser Zeit erfolgreiche ostdeutsche Schispringer Falko Weißpflog sehr imponierte. Aus dem „k“ machte er ein „c“, weil sich das international besser vermarkten läßt. Falco änderte sein Outfit deshalb grundlegend, weil er in Opposition zu den anderen Bandmitgliedern treten wollte. Alle anderen hatten lange Haare und hatten „Fetzen“ an – er stand auf einmal mit Anzug und Sonnenbrille auf der Bühne. Wickerl Adam über diese Zeit: „Er hat Sex, Drugs und Rock ’n‘ Roll gelebt im Versace-Anzug.“
Stefan Weber wurde durch die großen Erfolge der Hallucination Company dazu angeregt, seine ehemalige“Anarcho-Combo“ Drahdiwaberl, die bis 1975 existierte und von deren ehemaligen Mitgliedern ein Großteil nun bei der Hallucination Company spielte, neu zu formieren, und lud einige Musiker, darunter auch den coolen Bassisten Falco, ein, bei Drahdiwaberl zu spielen. Und so wirkte Falco ein Jahr lang sowohl bei der HallucinationCompany als auch bei Drahdiwaberl mit.
Drahdiwaberl war eine Mischung aus Chaos, Rock und Politkabarett. Die Musik war zwar geprobt, der Ablauf der Show aber spontan. Der Gruppe ging es vielmehr um Chaos,Happening, Ulk und Klamauk. Die Drahdiwaberl-Konzerte liefen derart exzessiv ab, daß Falco sich gezwungen sah, seine Designer-Kleidung bei Auftritten mit einem durchsichtigen Plastikmantel zu schützen. Stefan Weber über Falco: „Der Falco hat überhaupt nicht zu uns gepasst, weil er schon damals ein Dandy mit kurzen Haaren war. Wir sind in ,Fetzen‘ aufgetreten, er im Fiorucci-Pullover. Er war der einzige in der Band, den immer nur die Gage interessiert hat, und das war mit dem Ethos der Band nicht vereinbar, denn wir spielten fast nur Benefizkonzerte.“
Anfang 1979 verließ Falco wegen privater Gründe die Hallucination Company, blieb aber weiterhin bei Drahdiwaberl, auch wenn er sich mit der Ideologie der Band nicht identifizieren konnte. Bald darauf stieg er als Bassist bei der Kommerzgruppe Spinning Wheel ein, deren halbe Mannschaft auch in der Drahdiwaberl-Band spielte. Bei der Band Spinning Wheel, die unter anderem Bee-Gees- und Rod-Stewart-Songs nachspielte, begann Falco erstmals wirklich zu singen, wobei das Charisma und der eigene Stil des Falken zum Vorschein kamen: Er verlieh den von ihm nachgesungenen Songs einen eigenen Touch. Ein von ihm gesungener RodStewart-Song war kein Rod-Stewart-Song mehr, sondern wurde zu einem Falco-Song.
Seine damaligen Musikerkollegen berichten, daß er schon zu dieser Zeit die typischen Falco-Bewegungen draufhatte, die keineswegs gespielt, sondern ihm angeboren waren. Falco, das war keine Kunstfigur, wie es später immer wieder behauptet werden wird, sondern Falco war Hans Hölzel, und Hans Hölzel war Falco. Einige Jahre vor seinem Tod sagte er in einem Interview: „Ich schau‘ halt, daß ich ein gewisses Falco-Gesicht nach außen trag‘, weil ich das ja auch zu 99 Prozent bin.“
Spinning Wheel trat anfangs eher erfolglos in Diskotheken und Hotelbars auf. Erst nach einiger Zeit wurde die Band eine der erfolgreichsten Österreichs. Falco verdiente für damalige Verhältnisse sehr gut, doch störte es ihn zunehmend, daß er nicht das spielen konnte, was ihn berührte, sondern Unterhaltungsmusik machen mußte.
Im Mai 1979 begab sich Falco in das Tonstudio Cloud one von Renée Reitz in der Wiener Grünentorgasse, um seine erste Single zu produzieren. Er spielte, musikalisch von Spinning Wheel begleitet, die beiden Nummern“Chance to Dance“ und „Summer“ ein – unreife Frühwerke, von deren Veröffentlichung Falco letztendlich Abstand nahm.
Der Aufstieg zum Popstar
Eines Tages – es war im Jahre 1980, das den Beginn seines Aufstiegs vom Szene-Bassisten zum internationalen Star markieren sollte – kam Falco mit einer selbst komponierten und getexteten Nummer zu einer Drahdiwaberl Probe:“Ganz Wien“, ein spöttisches Werk über die gerade im Aufschwung befindliche harte Drogenszene, passte aber nicht so recht in das Drahdiwaberl-Repertoire, weshalb diese Nummer bei Konzerten als Pausenfüller diente. Der Song, der definitiv als Reaktion auf von Falco Erlebtes entstand, kam in Österreich auf den Index und durfte somit im Rundfunk nicht mehr gespielt werden. Wenn diese Nummer bei Live-Auftritten von Drahdiwaberl gespielt wurde, ging Falco mit seiner Baßgitarre ganz nach vorne zum Bühnenrand, und Stefan Weber trat in den Hintergrund. Das Publikum tobte bei dieser Nummer jedesmal vor Begeisterung, und bald wurde sie zum Kulthit der New-wave-Szene Wiens. Falco fühlte erstmals, was es denn heißt, vom Publikum umjubelt und geliebt zuwerden. Damals wurde ihm klar, daß er durchaus auch allein als Entertainer bestehen könnte.
1980 bekam Drahdiwaberl von Markus Spiegel, dem Chef des Wiener Kleinlabels GIG Records, das Angebot, die LP „Psychoterror“ zu produzieren. Spiegel bezeichnete sie später einmal ironisch als „mein genialstes Werk“. Von wesentlich größerer Bedeutung für Markus Spiegel war aber sicherlich die Begegnung mit Falco. Markus Spiegel:“Als ich Falco bei einem Drahdiwaberl-Konzert in den Wiener Sophiensälen erstmals mit seiner Nummer ,Ganz Wien‘ sah, war mir klar, daß ich ihn als Solokünstler unter Vertrag nehmen wollte. Falco hat auf mich einen ungeheuer charismatischen Eindruck hinterlassen.“
Markus Spiegel schloß mit Falco einen Vertrag als Solokünstler über drei LPs ab und brachte ihn mit dem Musikproduzenten und Soundmixer Robert Ponger zusammen. Ponger hatte im Sommer 1981 ein Lied für Reinhold Bilgeri, einen anderen bei Spiegel unter Vertrag stehenden Künstler, geschrieben, das diesem abe rnicht gefiel, und so spielte er Falco das Playback, zu dem es noch keinen Text gab, vor. Dieser war hellauf begeistert davon und spürte, „das ist es“. Er nahm das Band mit nach Hause und hatte in ein paar Tagen den Text dazu geschrieben: „Drah di net um, der Kommissar geht um …“
Im Herbst 1981 kam die Single „Der Kommissar“ auf den Markt, auf der Rückseite befand sich „Helden von Heute“, ein Song, zu dem Falco Text und Musik geschrieben hatte. Im November 1981 ist Falco mit seinem“Kommissar“ Nummer 1 in Österreich, zwei Monate später katapultiert ihn der heimische Aufstieg vom Kellermusiker zum Star auch in Deutschland an die erste Stelle der Hitparade. Die Plattenverkäufe explodieren: Nummer 1 in fast ganz Europa, in Kanada wird die Single vergoldet, in der deutschsprachigen Fassung erreicht der Hit immerhin Platz 72 der amerikanischen Billboard-Charts, in der englischsprachigen Coverversion von „AfterThe Fire“ Platz 3.
Durch den New Yorker Star-DJ Afrika Bambaataa, der wesentliche Starthilfe für Falco in den USA leistete, wird „Der Kommissar“ in amerikanischen Clubs zum Szene-Hit. Sogar in Guatemala führt der Song die Hitparade an. – Der Hit ist allenthalben auf der Welt zu hören. Weltweit wurden über 7 Millionen Einheiten des „Kommissars“ abgesetzt, von dem Falco später sagen wird, daß er sich nie gedacht habe, daß „Der Kommissar“ international Erfolg haben könnte. Er habe aber nie Respekt vor dem amerikanischen Markt gehabt. „Es war an sich nur ein Fahren auf dem Zeitgeist-Express, auf den ich nicht aufgesprungen bin, sondern den ich zu einem gerüttelt Maß selbst mit produziert habe.“
Und Falco erregt tatsächlich großes Aufsehen in der Popszene. Es sind nicht nur seine genialen Texte, eine Mischung aus Hochdeutsch, Wienerisch und Englisch, es ist nicht nur seine von ihm entwickelte Kunstsprache, sondern es ist vor allem auch seine eigene Art zu singen, womit er der erste weiße Rapper wird. Später bezeichnete er sich im engsten Freundeskreis gerne als „Godfather des weißen Rap“.
Auch das von Robert Ponger produzierte Album „Einzelhaft“, das 1982 auf den Markt kam, wurde ein Riesenerfolg. Falco gelang es mit Nummern wie „Helden von Heute“, „Auf der Flucht“ und „Hinter uns die Sintflut“, das Lebensgefühl jener Tage präzise auszuformulieren, und war damit seiner Zeit weit voraus. Ein Jahr vor seinem Tod sagte Falco in einem Interview für den „Wiener“: „,Einzelhaft‘ kam aus dem Bauch und ist gefahren wie die Hölle. Es war mein bestes Album.“
Falco tingelte mit seinem „Kommissar“ allein um die ganze Welt, klapperte Sendestationen von Kanada bis Australien ab, absolvierte hauptsächlich Playback-Auftritte in überfüllten Diskotheken und Clubs, spielte aber auch kleinere Konzerte im Rahmen von Open-Airs und Festivals. Sein Drahdiwaberl-Kollege und späterer Bandleader Thomas Rabitsch erinnert sich: „Er wurde ein Jahr lang rund um die Welt geschickt, ist von einem Hotelzimmer zum anderen, von einer Sendestation zur anderen gereist und als komplett anderer Mensch zurückgekommen.“
Anfang der achtziger Jahre sah sich Falco nach einem Manager um, den er in dem Deutschen Horst Bork fand. Durch den großen Erfolg seines Albums änderte sich das Leben Hans Hölzels grundlegend. Sein Bekanntheitsgrad wuchs über Nacht rasant an, und weil seine Adresse im Telefonbuch stand, wurde das Haus in der Ziegelofengasse zur Pilgerstätte vor allem seiner weiblichen Fans. Regelmäßig stand eine Gruppe von Fans vor seiner Eingangstüre, die noch dazu mit Milchglasscheiben versehen war, durch die man, wenn Licht in der Wohnung brannte, hindurchsehen konnte.
Das veranlasste Falco, seine Mutter zu bitten, ihm eine andere Wohnung zu suchen. Sie kam dieser Bitte gerne nach und fand in der Wiener Schottenfeldgasse im 7. WienerGemeindebezirk eine schöne 150 m2 große Altbauwohnung für ihren Sohn, für die er sofort Feuer und Flamme war. Er passte sie seinen Bedürfnissen entsprechend an und achtete beim Einrichten darauf – weil er unter der Enge seiner Wohnung in der Ziegelofengasse sehr gelitten hatte -, daß die Räume ihre Großzügigkeit nicht durch zuviel Möblierung verlieren. Im hinteren Teil des Salons ließ er sich ein schalldichtes Musikzimmer installieren.
Wie so oft im Leben von Hans Hölzel folgte nach großen Erfolgen eine schwere Krise, die er immer öfter mit Alkohol zu bewältigen suchte. Falco: „Die Alkoholprobleme haben mit dem Erfolg, mit der Kohle begonnen. Wenn der Erfolg schneller wächst, als die Seele mitwachsen kann, hat man Probleme. Glauben Sie mir das!“ Die Angst, mit dem nächsten Album beim Publikum nicht mehr jene Anerkennung zu finden, die er sich erhoffte, wurde immer größer. Aufgrund der Arroganz, mit der er den Journalisten gegenüber trat – sie war für ihn ein Schutzmantel, den er sich in Zeiten, in denen es ihm schlecht ging, reflexartig überwarf -, wurde ihm von vielen Seiten zu verstehen gegeben, daß es sich bei seiner erfolgreichen ersten Platte durchaus auch um eine Eintagsfliege handeln könnte.
Es lastete also ein großer Leistungsdruck auf Falco, der ihm ein von Zwängen freies Arbeiten verwehrte. Er tüftelte sehr lange an den einzelnen Nummern, wollte sie überperfekt machen und schob den Erscheinungstermin der LP immer wieder hinaus. Und Falcos Befürchtungen bewahrheiteten sich: Das 1984 veröffentlichte Album“Junge Römer“, ebenfalls von Robert Ponger produziert, blieb weit hinter den Erwartungen zurück. So manchen Kritiker riss dieses Album, dessen Nummern in ihrem künstlerischen Gehalt sicherlich am kompromißlosesten waren, zu wahren Jubelhymnen hin, jedoch dürfte Falco viele seiner Fans mit der Hochwertigkeit und Präzision von Texten und Musik anscheinend überfordert haben. Eine Zeitung schrieb vom“bestmißverstandenen Album des Jahres“. In Österreich wurden immerhin rund 50.000 Stück verkauft, international tat sich „Junge Römer“ allerdings sehr schwer. Der künstlerische Stellenwert dieses Albums mit seinen geschmeidigen Dance-Beats sollte erst später erkannt werden. – Heute ist es längst ein Kultalbum.
Für das Fernsehen drehte Falco gemeinsam mit den Videoproduzenten Rudi Dolezal und Hannes Rossacher das Falco-Special „Helden von Heute“. Es handelt sich dabei um eine künstlerisch erstklassige Verfilmung des gesamten Albums „Junge Römer“ – gedreht wurde in Deutschland und den USA – und ist das erste Longform Video der deutschen Popmusik.
Falco wollte gegen den schleppenden Verkauf des Albums „Junge Römer“ ankämpfen und nahm die Nummer“Kann es Liebe sein“ im Duett mit der bildhübschen Désirée Nosbusch, bekannt aus Film und Fernsehen, auf. Die Single, mit deren Produktion Falco nie zufrieden war, verkaufte sich nicht einmal so schlecht, jedoch konnte durch sie auch keine Trendumkehr herbeigeführt werden.
Falco, der sich zur „Kommissar“-Zeit noch lässig mit Lederjacke und Turnschuhen gab, perfektionierte anläßlich seines zweiten Albums sein optisches Erscheinungsbild, wodurch er zur gefragten Medienerscheinung wurde. Er ließ sich unzählige Designer-Anzüge, Dutzende Paar Maßschuhe anfertigen und zeigte sich stolz im Frack auf dem Wiener Opernball, was bei vielen zu Irritationen führte und seine Gegner noch mehr gegen ihn aufbrachte. Auch Sprache, Gestik und Körpersprache verpasste er ein neues Styling. Es handelte sich damals nicht bloß um eine Imagepolitur, Falco lotete aus, wie weit er gehen konnte. Er selbst verstand sich immer als Parodie auf das Establishment, was von vielen Menschen missverstanden wurde. Sie meinten, er habe den Bogen überspannt.
Zur damaligen Zeit jedenfalls war der klassische Falco voll entwickelt, nun gab und zeigte er sich so, wie ihn seine Fans haben wollten: arrogant, provokant und unnahbar. Dem übersensiblen Hans Hölzel machten die überwiegend negativen Kritiken und niedrigen Plattenverkaufszahlen schwer zu schaffen, in ihm machte sich die Angst breit, daß er all das bisher mühsam Aufgebaute wieder verlieren könnte, und es wurde ihm klar, daß das nächste Album alles entscheiden wird. Er sagte die geplante Tournee ab, zog sich immer mehr zurück und betäubte seine schweren Depressionen mit Alkohol und Drogen.
Zur Jahreswende 1984/85 flog er mit einigen Freunden nach Thailand, um von der ganzen Sache etwas Abstand zu gewinnen. Der einmonatige Aufenthalt in Asien war für Falco sehr wichtig, er brachte ihm wieder die innere Ruhe und Ausgeglichenheit, die er für die Arbeit an seiner neuen LP brauchte.
Falco wird zum Weltstar
Nach Wien zurückgekommen, sagte er sich abrupt von seinem Produzenten Robert Ponger los und wechselte zum holländischen Produzenten-Brüderpaar Rob und Ferdi Bolland, die in Hilversum ihr Bullet Sound Studio betreiben. Zu dieser Zeit erschienen einige Mozart-kritische Bücher, eine mehrteilige Fernsehserie über Mozart wurde ausgestrahlt, und es kam der mit mehreren Oscars ausgezeichnete Film „Amadeus“ von Milos Forman in die Kinos.
Wolfgang Amadeus Mozart war in aller Munde. Das inspirierte die Gebrüder Bolland dazu, das Leben Mozarts ungeschminkt in einem Popsong zu verarbeiten. Das Ergebnis war „Rock Me Amadeus“, ein Song, der alle bisherigen Grenzen der deutschen Popmusik sprengen und völlig neue Maßstäbe setzen sollte. Als Falco das Playback zum ersten Mal hörte, war ihm klar, daß er die richtigen Produzenten gefunden hatte, und er nahm im Sommer 1985 seine LP „Falco 3“ in Hilversum auf. Mit diesem Album, das sich im Stil von den beiden vorangegangenen gänzlich unterscheidet – es ist wesentlich kommerzieller, die Musik poppiger -, schaffte Falco endgültig den internationalen Durchbruch.
Bereits im Mai 1985 wurde „Rock Me Amadeus“ als Single ausgekoppelt und stürmte sofort nach Veröffentlichung an die erste Stelle der österreichischen Hitparade, wo sich der Song sechs Wochen lang hielt – zwei Wochen später wurde er Spitzenreiter der deutschen Hitparade.
Am 15. Mai 1985, kurze Zeit nach der ersten Single-Auskoppelung, mußte Falco erstmals vor großem Publikum bestehen, denn er wurde von Bürgermeister Dr. Helmut Zilk eingeladen, das Eröffnungskonzert vor der phantastischen Kulisse des Wiener Rathauses zu bestreiten. Dies war eine Novität, denn bis zu diesem Tag war es Tradition gewesen, daß Künstler aus dem Bereich der ernsten Musik diesen Part zugesprochen erhielten. Die Entscheidung der Verantwortlichen war goldrichtig: Das Konzert wurde ein triumphaler Erfolg und übertraf alle Erwartungen bei weitem. Mehr als 60.000 Menschen waren gekommen, um dieses unvergessliche Falco-Konzert mitzuerleben, das auch im Fernsehen übertragen wurde. Falco fragte während seines Auftritts die begeisterte Menge: „Wollt ihr den totalen Falco?“ – „Ja!“ war die Antwort. Und sie bekam ihn.
Die bildhafte Umsetzung des Popsongs „Rock Me Amadeus“ besorgten die Videoproduzenten Rudi Dolezal und Hannes Rossacher, mit denen Falco während seiner ganzen Karriere eng zusammenarbeitete. Gemeinsam mit ihnen entwickelte Falco eine ihm eigene Bildsprache, wodurch er der erste europäische Popmusiker wurde, der die Zeichen der internationalen Videoclip-Kultur für sich zu nutzen wusste und sie weltweit mit prägte. Falco spielt in diesem Videoclip eine Doppelrolle: Einmal verkörpert er den Wolfgang Amadeus Mozart des 20.Jahrhunderts, dann wieder befindet er sich als Falco im Smoking in der Rokokozeit, ist also immer im „falschen“Jahrhundert. Als „Mozarts“ Leibwächter agieren im Video, das im Wiener Palais Schwarzenberg gedreht wurde,wildbärtige Motorrad-Rocker – 13 Jahre später werden sie ihm die letzte Ehre erweisen und seinen Sarg tragen.
Im Sommer 1985 wurde Falco von der Popgruppe Opus eingeladen, an einem Open-Air im Grazer Stadion Liebenau mitzuwirken. Am Vorabend des Konzertes ging er mit ein paar Freunden in ein Grazer Café, wo er seine spätere Frau Isabella Vitkovic kennenlernte. Er war sofort Hals über Kopf in sie verliebt. Sie entsprach genau seinem Idealtypus von Frau, wie er immer wieder ironisch meinte: „groß, blond und tuberkulös“.
Isabella stammt aus bürgerlichen Verhältnissen und war damals noch mit einem um 19 Jahre älteren Mann verheiratet, wußte aber, daß sie in dieser Beziehung nicht mehr weiterleben konnte. Hans bat sie, zu ihm nach Wien zuziehen, und sie kam diesem Wunsch gerne nach. Ein paar Wochen später behauptete Isabella, sie wäre in der ersten Nacht mit Hans, die sie im Grazer Schloßberghotel miteinander verbrachten, schwanger geworden.
„Für Sie“ schrieb am 19. November 1985: „Die ehemalige ,Miß Styria‘ war in Falco schon via Bildschirm so vernarrt, daß sie ihn unbedingt kennenlernen wollte. Die Chance bot sich, als er im Juli im Grazer Schloßberghotel weilte: Mit einem Trick luchste Isabella dem Portier Hansis Zimmerschlüssel ab und erwartete ihn in seiner Suite. „… Jetzt wird er Vater.“ Die beiden entschlossen sich dazu, das Kind zu bekommen. Für Falco bedeutete der Umstand, Vater zu werden, einen Wendepunkt in seinem Leben. Er hoffte, daß ihm das Kind in seinem wilden Leben eine Stütze sein werde, denn insgeheim suchte er Geborgenheit und Halt.
Die großen Erfolge gaben Falco genügend Rückenwind, um im Herbst 1985 erstmals groß auf Tournee zu gehen. Auf dem Konzertplan standen Auftritte in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Ein wahrer Triumphzug für Falco wurde das restlos ausverkaufte Konzert in der Wiener Stadthalle am 31. Oktober 1985. Mehr als 11.000Menschen jubelten Falco, der während des Konzerts fast ein dutzendmal seine Bühnenkleidung wechselte, vor Begeisterung zu. Höhepunkt der Konzerte war immer die allerletzte Zugabe, sein größter Hit: „Rock Me Amadeus“, bei der Falco in roter, mit goldenen Biesen besetzter Phantasieuniform-Jacke, schwarzer Hose und Tennisschuhen auf die Bühne kam.
Seine erste Tournee wurde ein Riesenerfolg und gab Falco die Sicherheit, in Zukunft auch in größeren Hallen bestehen zu können, denn man war vorsichtig und suchte sich – abgesehen von der Wiener Stadthalle -Konzerthallen mittlerer Größe aus. Nach „Vienna Calling“, einem Song, mit dem Falco europaweite Erfolge erzielen konnte, folgte „Jeanny“ als dritte Singleauskoppelung des Albums „Falco 3“. Dieser Song und das dazugehörige Video sorgten für einen handfesten Skandal. Der deutsche Nachrichtenmoderator Dieter Kronzucker, dessen beide Töchter einige Jahre zuvor in Italien entführt worden waren, machte mit einem sechsminütigen Beitrag in der Nachrichtensendung „Heute Journal“ „Jeanny“ zum Skandal-Lied und rief zum Rundfunkboykott auf.
Falco, für den „Jeanny“ ein Liebeslied war, wurde unterstellt, er würde in diesem Lied Gewalt, sexuellen Mißbrauch und sogar Lustmord verherrlichen. Mehrere deutsche Sendeanstalten entschlossen sich daraufhin zu einem Boykott des umstrittenen Liedes samt Video und setzten es auf die schwarze Liste. Der große Medienrummel ließ die Plattenverkäufe natürlich erst recht in die Höhe schnellen, und „Jeanny“ wurde im gesamten deutschsprachigen Raum zum Spitzenreiter der Hitparaden. Falco, der zu dieser Zeit gerade Urlaub auf den Jungferninseln machte, sagte nach seiner Rückkehr: „Ich hör‘ immer ,Mord‘, ich weiß nicht, was das soll. Ich wollte keine Frauenmördernummer machen, sondern eine mörderische Nummer.“ – Und für seine Fans war sie das auch, sie konnten und wollten die Zensur von seiten der Rundfunkanstalten überhaupt nicht verstehen, ja protestierten heftigst dagegen und kauften während dieser Zeit an die 50.000 „Jeanny“-Singles täglich.
Falco hatte sich in den letzten fünf Jahren einen Stellenwert in der Popgeschichte erarbeitet, von dem österreichische Popmusiker vorher nicht einmal zu träumen wagten – und bis heute nur träumen können. Es schien, als hätte er den Zenit seines Erfolges erreicht, aber dann, im März des Jahres 1986, geschah das für einen österreichischen Musiker bislang Unfassbare, das, mit dem niemand – und am wenigsten Falco – gerechnet hatte:
„Rock Me Amadeus“ wird die Nummer 1 der amerikanischen Billboard-Charts, des Heiligen Grals der Popmusik, und hält sich drei Wochen lang vor Prince mit „Kiss“ an der Spitze. Falco ist mit seinen 29 Jahren der erste deutschsprachige Popmusiker, der die US-Single-Charts anführt, und erreicht damit das höchste Ziel, das man als Popmusiker erreichen kann, das, wovon alle träumen: weltweit die Nummer 1 zu sein. Falco befand sich gerade in illustrer Runde in einem Wiener Innenstadtlokal, als ihn die Nachricht erreichte, daß „Rock Me Amadeus“ die Nummer 1 in den USA sei. Alle freuten sich, waren in ausgelassener Stimmung, nur Hans wurde immer ruhiger und nachdenklicher. Als ihn die anderen ermunterten, er solle sich doch freuen, schließlich sei er die Nummer 1, antwortete er mit Tränen in den Augen: „Nein, ich kann mich darüber nicht freuen, weil ich das nie mehr schaffen werde!“ Einige Jahre später sagte er: „Ich war gar nicht gut drauf, als ich hörte, ich bin Nummer 1 in Amerika, weil ich wußte, was das für eine Belastung ist. Ich habe fast fünf Jahre gebraucht, um diese wieder einigermaßen loszuwerden.“
Von diesem Druck, der seit dieser Zeit auf ihm lastete, konnte er sich nie mehr gänzlich befreien – er behinderte ihn zusehends bei seiner Arbeit. Es war aber nicht nur die Single „Rock Me Amadeus“ in den USA erfolgreich, auch das Album „Falco 3“, das fast ausschließlich deutschsprachige Songs enthält, hielt sich wochenlang in den amerikanischen Top-Ten und konnte sich bis auf Platz 3 vorarbeiten. Das „Amadeus“-Video lief auf MTV in „heavy rotation“. Falcos amerikanische Plattenfirma scheute keine Kosten und Mühen für die Vermarktung des Albums. Werbung für Falco gab es überall: im Fernsehen, im Radio, im Kino, in den Zeitungen und auf Plakaten. Es wurde sogar eine eigene Falco Hotline eingerichtet, wo sich Fans mit ihren Fragen hinwenden konnten: „For a good time call Falco: 1-800-841-1223“, stand auf überdimensionalen Plakaten zu lesen.
Falco hingegen hielt seine eigenen PR-Auftritte in den USA in Grenzen. Er wollte vorerst gar nicht zwecks Promotion in die USA reisen, denn er war der Ansicht: „Wenn die Leute die Platte kaufen wollen, dann kaufen sie sie sowieso, ob ich hinüberkomme oder nicht!“ Erst nach langem Drängen seiner Plattenfirma flog Falco für zehn Tage im Mai nach Amerika, um in New York und Los Angeles die Runde bei Journalisten zu machen. Er gab unzählige Zeitungsinterviews, nahm an Talkshows teil und trat in verschiedenen Fernsehsendungen auf. „Was ich primär im Auge hatte, war, nicht für die aktuellen Lieder zu werben, sondern mich als Person zu vermarkten“, meinte Falco nach seiner Rückkehr aus den USA.
Der kometenhafte Aufstieg des Falken in den USA fand nur deshalb ein jähes Ende, weil er es vorzog, in seiner Heimat zu bleiben. Falco: „Ich hätte oftmals Gelegenheit gehabt, nach Amerika zu gehen. Ich habe es nicht getan, weil das Schönste an der amerikanischen Fahne die rotweißroten Streifen sind.“
Der internationale Erfolg beschränkte sich natürlich nicht nur auf die USA, „Rock Me Amadeus“ erreichte weltweit Spitzenplazierungen in den Charts von Südamerika bis Japan, wurde auch Nummer 1 in Großbritannien, was Hans fast noch mehr bedeutete als die Nummer 1 in den USA. Immerhin gilt Großbritannien als das Mutterland des Pop.
Wendepunkt
Der März des Jahres 1986 bescherte Falco aber auch noch eine andere Freude: Am 13. März kam seine Tochter Katharina Bianca zur Welt. Er liebte dieses Kind über alles, er hoffte, daß ihm das Kind Halt geben und sein Leben in sichere Bahnen lenken werde. Da ihm seine Junggesellenwohnung in der Wiener Schottenfeldgasse für seine Familie zu klein erschien, kaufte er um viele Millionen ein im Bau befindliches Penthouse im Nobelbezirk Hietzing, das mit jedem nur erdenklichen Luxus ausgestattet werden sollte: Studio, Bibliothek, zwei Terrassen, Whirlpool, Sauna, Armaturen 24karätig vergoldet. Doch zog Falco mit seiner Familie nie dort ein. Viele Jahre vermietete er die luxuriöse Immobilie, bis er sie 1997 an seinen Freund und Mentor Ronnie Seunig verkaufte.
Falco wurde in dieser Zeit in eine Doppelrolle gedrängt, nämlich in die des frischgebackenen Familienvaters und in die des Weltstars, die im Laufe der Zeit für ihn immer mehr zum Problem wurde, weil das Bild des häuslichen Hans Hölzel nicht zu Falcos Image passte. Der große berufliche Erfolg und der damit verbundene Druck manövrierten Hans Hölzel wieder einmal in eine schwere Krise, die er mit Alkohol, Drogen und Tabletten zu bewältigen glaubte. Falco: „Die Midlife-Crisis habe ich mit 28 gehabt. Jetzt hast du Millionen, du weißt zwar nicht,wo oben und unten ist, aber da ist eine Familie mit einem Kind, und du weißt gar nicht, was du damit anfangen sollst.“
Hans Hölzel, der aus kleinen Verhältnissen stammte, hatte große Schwierigkeiten, seinen plötzlichen Reichtum zu verkraften. Falco, der schon mit 24 Jahren Dollarmillionär geworden war, sagte später: „Die schwierigste Zeit meines Lebens war zu der Zeit, wo ich begann, Geld zu verdienen, und zwar Geld in einem Ausmaß, das ich mir vorher nicht vorstellen konnte. Geld verdirbt die Menschen und hat auch mich lange Zeit verdorben. Geld verdirbt den Charakter, man glaubt, man ist der Größte!“
Falcos erster Vertrag mit GIG Records lief mit dem Album „Falco 3“ aus. Eine bessere Ausgangsposition für neue Vertragsverhandlungen, als Falco sie mit einem Welthit hatte, konnte es gar nicht geben, und Falco unterschrieb bei der deutschen Firma Teldec einen Vertrag über drei Studio-LPs und einer Live-LP, weil eine große Firma Falcos Interessen weltweit besser wahrnehmen konnte als ein kleines Label wie GIG Records. Markus Spiegel begnügte sich mit der Rolle des Lizenznehmers in Österreich. Der neue Vertrag Falcos war mit Sicherheit der höchst dotierte, der je mit einem deutschsprachigen Künstler abgeschlossen wurde. Falco: „Der neue Vertrag war so dotiert, daß er mir sehr den Kopf verdreht hat. Man nimmt halt 40 Millionen Schilling, wenn sie einem angeboten werden, aber besonders gut getan haben sie mir nicht!“ Über sein eigenwilliges Verhältnis zu Geld, Reichtum und Frauen singt Falco in der Coverversion von Rio Reisers „Geld“, die sich auf dem posthumerschienenen Album „Out of the Dark“ befindet.
Im Frühsommer des Jahres 1986 machte Falco einen kurzen Ausflug ins Filmgeschäft und übernahm eine kleine Rolle in der Filmkomödie „Geld oder Leber“ mit Mike Krüger und Ursela Monn in den Hauptrollen. Gedreht wurde unter der Regie von Dieter Pröttel am Wörthersee. „Das war der bestbezahlte Urlaub meines Lebens“, sagte Falco nach den Dreharbeiten. Es waren noch weitere Filmprojekte mit Falco geplant, jedoch konnten seine schauspielerischen Qualitäten nicht überzeugen, weshalb man weitere Pläne in diese Richtung fallen ließ.
Falco, der das ganze Frühjahr über an seinem vierten Album „Emotional“ – er produzierte es wieder mit dem Erfolgsduo Bolland – gearbeitet hatte, ging im Sommer 1986 auf Festspieltournee, die ihn von Mörbisch über Salzburg bis nach Bregenz führte. Er hatte die Idee, Pop und Klassik zu kombinieren, und baute in seine Konzerte einen Auftritt eines Ensembles des Tanztheaters Wien ein, das zur Musik von Tschaikowsky eine rundzehnminütige Tanzshow bot. Höhepunkt dieser Konzertreise war der Open-Air-Auftritt vor 20.000 Fans am Salzburger Domplatz.
Nach Abschluß der sehr erfolgreichen Sommertournee begab sich Falco gleich wieder nach Hilversum ins Studio, um sein Album, dem noch drei Titel fehlten, fertigzustellen. Es kam im Spätherbst auf den Markt. „Emotional“ war Falcos viertes Album, aber es war sein erstes, wie er meinte, wo er all das sagen konnte, was er immer schon sagen wollte. Im Titelsong „Emotional“ – es handelt sich um bittersüße Soulmusik – singt Falco: „Ich weiß, daß die Frau, die mich erträgt, noch nicht geboren ist, aber ich bitte dich: Komm zur Welt!“ – Dieser Schlüsselsatz brachte es genau auf den Punkt: In seinem Innersten wusste Hans Hölzel, daß es die Frau, die er suchte und brauchte, auf diesem Planeten nicht gab. Hans Hölzel war zeitlebens auf der Suche nach einer Frau, die seiner Mutter ähnlich, aber auch nicht zu häuslich ist – jedenfalls musste sie sehr humorvoll sein.
Das Zusammenleben mit Falco gestaltete sich schwierig. Seine Stimmungslage konnte von einem Augenblick zum anderen wechseln und bewegte sich nur in Extremen: entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Dazwischen gab es bei Hans Hölzel nichts. Dies machte ihn unberechenbar – und oft auch sehr einsam. Die Einsamkeit war für ihn eines der schrecklichsten Dinge auf der Welt, denn er war ein Mensch, der nicht allein sein konnte, es aber in Wirklichkeit immer war. Zu seiner Mutter hatte er bis zu seinem Tod eine sehr liebevolle und innige Beziehung; sie war sein“Lebensmensch“. Falco: „Was ich bei keiner einzigen Frau der Welt noch gefunden habe und bei ihr habe, ist eine einzigartige Loyalität. Aber ich glaube, die hat man auch nur als Sohn bei der Mutter.“Einige Male sagte er zu ihr: „Mama, wenn du vor mir stirbst, dann pack‘ ich das nicht!“ – Dieser Schmerz blieb ihm erspart.
Im August 1986 packte Isabella ihre Koffer und verließ mit Katharina Bianca die Wiener Wohnung. Hans konnte Isabella aber dazu überreden, wieder zu ihm zurückzukommen. – Ein Szenario, das sich noch mehrere Male wiederholen sollte. Der Song „Emotional“ war aber nicht infolge des Zerwürfnisses mit seiner Frau entstanden, er hatte ihn bereits zwei Monate vorher aufgenommen. Die Singleauskoppelungen „The Sound of Musik“, „Emotional“ und „Coming Home“ nahmen in den Charts des deutschsprachigen Raums Spitzenplazierungen ein. Mit seinem neuen Album im Gepäck brach Falco im Herbst zu seiner ersten Welttournee auf, die ihn von Österreich, Deutschland, Schweiz über Japan bis in die USA führen sollte.
Wegen des großen Ansturms mußte Falco in der Wiener Stadthalle ein Wiederholungskonzert geben. In Japan erwartete ihn ein Publikum, das all seine Erwartungen übertraf. Hunderte Fans und zahlreiche Groupies belagerten die Hotels, in denen Falco mit seiner Band abgestiegen war, am Bahnhof in Tokio kam es regelrecht zu Verfolgungsjagden. Die japanischen Fans kamen im Abendkleid beziehungsweise mit Anzug und Krawatte und verhielten sich in den Konzerten äußerst diszipliniert. Bis zu 5.000 Schilling wurden am Schwarzmarkt für ein Konzertticket geboten. Die Mädchen warfen unzählige Teddybären und manche sogar ihre Slips auf die Bühne. Ein solch enthusiastisches Publikum wie in Japan hatte Falco vorher und nachher nie wieder erlebt.
Die USA-Konzerte waren für Jänner bis März 1987 angesetzt, wurden jedoch kurzfristig verschoben und später gänzlich abgesagt, weil dem Konzertveranstalter das Risiko zu groß erschien.
Am 20. November 1986 bekam Falco als erfolgreichster deutschsprachiger Popsänger des Jahres den „Goldenen Bambi“ überreicht. Außerdem wurde ihm vom Wiener Bürgermeister das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien verliehen, wodurch Falco mit seinen 29 Jahren der jüngste Ordensträger Wiens wird.
Falcos Rückschläge
Im Jahre 1987 zog sich Falco von der Öffentlichkeit weitgehend zurück. Zuviel verlangten die letzten Jahre und vor allem Monate von ihm ab. Er brauchte Zeit, um das Erlebte einigermaßen verarbeiten zu können, und mußte wieder seine innere Balance finden. Da Hans Hölzel der Ansicht war, seinem Kind auch ein Stück Natur bieten zu müssen, begab er sich auf die Suche nach einem Haus im Grünen. In Gars am Kamp in Niederösterreich, eine gute Autostunde von Wien entfernt, fand Hans Hölzel eine schöne Jugendstil-Villa mit rund 4.000 m² Garten, der direkt an den Kamp angrenzt. Obwohl sie renovierungsbedürftig war, gefiel sie ihm auf Anhieb. Er kaufte sie am 11. September 1987 und ließ sie nach seinen Vorstellungen mit viel Liebe in mühevoller Kleinarbeit herrichten.
Ende 1987 meldete sich Falco mit der Single „Body next to Body“, die der gebürtige Südtiroler Giorgio Moroder produzierte, bei seinen Fans zurück. Falco nahm diesen Song gemeinsam mit der Dänin Brigitte Nielsen auf. Das Duett war Berechnung, wie Falco später gestand: „Mit ihr wollte ich nie in die Hitparade, mit ihr wollte ich nur ins Bett!“ Der Erfolg der Single blieb aus, Falco sprach von einer „miserablen Platte“. „Aber die Zeit mit ihr war es wert, die 14 Tage St. Tropez haben sich gewaschen. Es war ein Deal.“
Falco war auf der Suche nach einem neuen Produzenten, da er sich von den Gebrüdern Bolland „wegen unverschämter Forderungen und schwacher Demobänder“ getrennt hatte. Das Produzentenduo Gunther Mende und Candy De Rouge schien Falco für sein neues Album genau richtig zu sein. Im März 1988 war die LP – sie sollte ursprünglich „Aya“ heißen; es sind die letzten drei Buchstaben des Singletitels „Himalaya“ – fertig. Falco,der einen unüberwindlichen Drang zum Perfektionismus hatte, war jedoch mit dem Ergebnis nicht zufrieden, verwarf einen Großteil der bereits fix und fertig produzierten Songs und kehrte reumütig zu Rob und Ferdi Bolland zurück, mit denen er das Album fertigstellte.
Es heißt nun „Wiener Blut“ und enthält sechs von den Bollands und vier von Mende/De Rouge produzierte Nummern. Die Titelnummer „Wiener Blut“ war schon zur Zeit von „Rock Me Amadeus“ aufgenommen worden, kam jedoch nicht auf das Album „Falco 3“. Sie hieß damals noch „Medizin“ und hatte einen ganz anderen Text. Falco griff diese alte Nummer wieder auf, verpasste ihr einen neuen Text wie auch Titel und spielte sie für sein neues Album in neuem Gewand ein.
Das Album „Wiener Blut“ kam im Spätsommer des Jahres 1988 heraus – die Verkaufszahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Die geplante Europatournee musste mangels Publikumsinteresse abgesagt werden. Falco äußerte sich später immer abfällig über dieses Album, er hatte zu diesem sicherlich den wenigsten Bezug von all seinen Werken.
Am 17. Juni 1988 heiratete Hans Hölzel Isabella Vitkovic heimlich in Los Angeles. Nicht einmal die wichtigste Frau in seinem Leben, seine Mutter, wusste davon. Falco: „Ich habe sie nur wegen des Kindes geheiratet.“
Im November 1988 war Falco völlig am Boden, physisch wie psychisch: Seine LP ein Totalflop, seine Tournee abgesagt, seine Alkoholprobleme unbewältigbar und seine Ehe am Scheitern – er bricht aus und tritt eine „Flucht“ rund um den Erdball an. Viereinhalb Monate lang wusste niemand, wo er sich befand. Er wollte sein Leben neu positionieren, wieder in die richtigen Bahnen lenken. Nach seiner Rückkehr setzte Hans Hölzel einen Schlusspunkt, packte 3,8 Millionen Schilling in einen schwarzen Koffer, fuhr nach Graz und stellte seiner Ehefrau die alles entscheidende Frage: „Geld oder Ehe?“ – Die Antwort war klar, und nach 309 traurigen Ehetagen erfolgte die einvernehmliche Scheidung.
1990 startete Falco einen Comeback-Versuch und nahm in Koproduktion mit Robert Ponger, dem Produzenten seiner ersten beiden Platten, das Album „Data de Groove“ auf. Falco entwickelte für die Texte der Songs eine dem Computerzeitalter entsprechende Kunstsprache: „Ich mein: Ich-Mich-Du-Dich-Ich-Mein. Du dein so allein, so allein zu sein.“ …und so weiter. Aber der erhoffte Erfolg, den Falco und insbesondere Hans Hölzel so dringend gebraucht hätten, blieb abermals aus. „Es war ein sehr introvertiertes Album, und ich habe mich ein bisschen in zu anspruchsvolle Wortspiele verstiegen“, sagte Falco rückblickend.
Nach dem Wechsel von Teldec zu EMI Electrola hob der Falke im Sommer 1992 zum „Nachtflug“ ab. Das Album“Nachtflug“ ließ Falco wieder vom Erfolgsduo Rob und Ferdi Bolland produzieren. Falco: „Das Album stellt die Summe der letzten zehn Jahre meines Lebens dar.“ Der Song „Titanic“, ein kalkulierter Hit – er nahm sofort nach Veröffentlichung den ersten Platz der österreichischen Hitparade ein -, befasst sich mit einer Weltgesellschaft, die sich darauf verlässt, daß ihr im Fallen die Flügel wachsen. „Nachtflug“, der absolute Lieblingssong Falcos, ist ein Psychogramm von Hans Hölzel: „Das bin ich. Da geht es um das Verhältnis zwischen Mann und Frau, wie ich es momentan sehe.“ „Nachtflug“ wurde zwar vom Publikum sehr gut angenommen – Falco bekam Platin dafür verliehen -, jedoch gelang es Hans Hölzel auch mit diesem Album nicht, an seine großen frühen Erfolge anzuschließen.
Im Frühjahr 1993 ging Falco nach sechs Jahren erstmals wieder auf Tournee. Da er sich nach den langen Jahren seiner Live-Absenz nicht im klaren darüber war, wie groß seine Fangemeinde ist, entschied er sich dafür, in Konzertsälen kleinerer und mittlerer Größe zu spielen. Auf dem Tourplan standen überwiegend Städte in Österreich, aber auch Konzerte in Deutschland, der Schweiz und sogar in Russland standen auf dem Programm. Die Tournee wurde ein großer Erfolg für Falco, der ihn beflügelte. Wer sich Filmaufnahmen seiner Konzerte ansieht, dem wird klar, daß Hans Hölzel nur auf der Bühne, wo er die Liebe seiner Fans spürte, richtig glücklich war. An diesem Platz lebte er auf.
Höhepunkt war sein letzter großer Auftritt am 27. Juni 1993 im Rahmen des Wiener Donauinselfestes, wo über 100.000 Menschen das vielleicht beste Konzert des Falken, der an diesem Abend – angetrieben durch seine begeisterten Fans – zur Höchstform auflief, miterlebt hatten. Es wird vielen in unauslöschlicher Erinnerung bleiben, vor allem durch einen Blitzeinschlag in der Bühne. Ein Konzert, über das noch heute jeder spricht, der dabei war.
Im Herbst des Jahres 1993 musste Hans Hölzel wohl den schwersten Schicksalsschlag seines Lebens erfahren. Weil er schon lange Zweifel an seiner Vaterschaft von Katharina Bianca hegte, entschied er sich zu einem Vaterschaftstest, der ihm Klarheit bringen sollte. Und er brachte sie: Hans Hölzel war nicht der Vater von Katharina Bianca. Nach außen hin zeigte er nicht, wie sehr ihn diese Demütigung verletzte, „doch es war das Ärgste, was ihm in seinem ganzen Leben passiert ist. Das hat er bis zu seiner letzten Stunde nicht verkraftet“, sagt sein Freund Billy Filanowski. Maria Hölzel: „Wenn dem Hans im Leben jemand weh getan hat, dann war es Isabella!“ Diese schmerzliche Erfahrung beeinflusste seine Beziehung zu all seinen späteren Frauen nachhaltig.
Der durch private und berufliche Rückschläge sehr verletzte sowie verunsicherte Mensch Hans Hölzel zog sich immer mehr in sein Refugium in Gars am Kamp, das sein kleines Paradies war, zurück, wo er seine Krisen besser zu bewältigen glaubte. Seine immer wieder aufkommende Schwermut bekämpfte er mit Psychopharmaka, die er mit Alkohol hinunterspülte. Um sich abzulenken, arbeitete er geradezu verbissen an einem neuen Album, mit dem er unbedingt sein internationales Comeback schaffen wollte. Als er jedoch einige Nummern – darunter“Push“ und „Dame Europa“ – in einem relativ unfertigen Zustand seiner Plattenfirma präsentierte, war die Reaktion darauf: „Na ja, ganz nett, aber was hältst du von Techno?“ Für Falco, der sich viel von diesen Nummern versprach, war dies ein harter Schlag, noch dazu, wo er wenig von Techno hielt.
Doch Falco bewies, daß er sich auch im musikalischen Zeitgefühl der neunziger Jahre behaupten kann, und brachte 1995 unter dem Pseudonym T>>MA – ein Wortspiel zu „Thema“ – bei einem anderen Label den Song „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ als Coverversion eines Schlagers aus den dreißiger Jahren heraus. Falco spielt im Text dieses Liedes, das durch schnelle Techno-Beats gekennzeichnet ist, permanent mit den Doppelbedeutungen der Worte „Kohle“ und „Koks“. Falco: „Ich möchte ununterbrochen sehen, wie weit ich gehen kann und ob ich damit durchkomme. Ganz einfach. Diese Nummer ist nichts anderes als nonkonformistische Provokation.“ Der Song bescherte Falco gute Chartplazierungen in Österreich und Deutschland und brachte ihn auf die Playlist von VIVA.
Am 22. April 1995 stellte sich Falco, der eine sehr große Liebe zur Poesie hatte, in den Dienst der guten Sache und trat neben H. C. Artmann, Wolfgang Bauer und Konstantin Wecker bei der Benefizveranstaltung „Nacht der Poesie“ zur Rettung der Wiener Schule für Dichtung in den Sophiensälen auf. Außerdem leitete Falco im Rahmen der April-Akademie 1995 abseits der Öffentlichkeit ein Werkstattgespräch mit dem Titel „Schreibt Falco Texte? Wenn ja, wie?“ – Ein stiller Höhepunkt in Falcos Karriere.
Ins weiße Licht
Hans Hölzel, der Sonne, Palmen und das Meer liebte, machten die langen Winter in Österreich immer mehr zu schaffen. Engen Freunden gegenüber bekannte er: „Wenn es Winter, dunkel und kalt wird, krieg‘ ich Angst.“ Dies war sicherlich mit ein Grund, weshalb er im Frühjahr 1996 begann, seinen Wohnsitz in die Dominikanische Republik zu verlegen. Es waren aber hauptsächlich die damit verbundenen Steuererleichterungen, die ihn zu diesem Schritt bewogen. Von Anfang an war ihm jedoch klar, daß er, der von ganzem Herzen Österreicher und vor allem Wiener war, nicht für immer dort bleiben wird. Hans Hölzel bezog eine 200 m² große Villa mit Swimmingpool in den Hacienda Resorts in Puerto Plata, weit im Norden der Insel, und mietete sich außerdem ein kleines Appartement in Cabarete.
1996 veröffentlichte Falco die von Torsten Börger produzierte Single „Naked“ – es sollte seine zu Lebzeiten letzte Veröffentlichung sein. „Naked“ lief in Österreich gut, in Deutschland hingegen wurde die Single mit knapp über 50.000 verkauften Exemplaren ein Flop.
Im Sommer 1997 übernahm Claudia Wohlfromm, die Frau des Produzenten Torsten Börger, das Management von Falco. Sie wollte einen ganz neuen Falco stylen, einen, der ihrer Meinung nach in das dritte Jahrtausend passt. Und Falco ließ gewähren: Eines Tages erschien er mit blondgefärbten Haaren und einem Brillanten im rechten oberen Schneidezahn in der Öffentlichkeit.
Die Arbeiten an Falcos letztem Album, das ursprünglich „Egoisten“ heißen sollte, ließen seine Verunsicherung und Selbstzweifel immer größer werden. Immer wieder verschob der Perfektionist Hans Hölzel den Erscheinungstermin des Albums, verwarf Nummern, nahm wieder neue auf, wurde sich nicht klar über die Anordnung der einzelnen Songs. Letztlich wollte er im Spätherbst des Jahres 1997 das gesamte Album, das an und für sich fertig war, verwerfen und mit der Arbeit von neuem beginnen, wozu es jedoch nicht mehr kam.
Hans Hölzel verstarb am 6. Februar 1998 gegen 16.40 Uhr Ortszeit bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik. – Falco hingegen lebt intensiver denn je in den Herzen seiner Fans.
Quelle: unbekannt. Der Artikel wurde nach seinem Tod veröffentlicht. Bitte um Hinweise ! Vielen Dank.