Skandal-Song: Mit seinem Hit „Jeanny“ löste der österreichische Popstar Falco 1985 eine erbitterte Diskussion über die Popkultur jener Tage aus. Sittenwächter, Frauenrechtler und Kulturapostel sahen vor allem in dem Video eine unverblümte Darstellung von drastischer Gewalt gegen Frauen. Dabei war alles „nur“ Musik.
Der erste weiße Rapper
Aufgrund des kommerziellen Misserfolgs seines dritten Albums „Junge Roemer“ wechselte Falco 1985 schließlich zu den niederländischen Erfolgsgarantie-Produzenten jener Jahre – Rob und Ferdi Bolland. Doch gerade einem Lied dieses Albums war auf ganz eigene Weise der ewige Ruhm des Pophimmels beschieden: „Jeanny“.
Sämtliche Register gezogen
An Falcos obsessiven Vortrag hatte man sich inzwischen gewöhnt, und auch der Text des Liedes alleine hätte wohl niemanden aufgeregt. Es war das Video, in dem Falco sämtliche metaphorische Register der Bildsprache zog: Die ewig lockende weibliche Verführung und einen krank anmutenden Stalker, den er überzeichnet bis zum Weg in die Gummizelle selbst zum Besten gab. Alles in einer Mischung aus Popästhetik und visuellen Zitaten aus dem Fritz-Lang-Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ versehen.
Der von dem damals populären Tagesschausprecher Wilhelm Wieben gesprochene Nachrichteneinspieler am Ende des Liedes, ist jedoch der einzige direkte Hinweis des Liedes auf eine Gewalttat – zudem während Falcos Verhaftung im Video die unversehrte Jeanny aus einer Bar herauskommt.
Viele Sender, wie der NDR, der SFB und der Bayerische Rundfunk verweigerten auf einen Aufruf verschiedener Fraueninitiativen hin das Abspielen, weil das Lied nach ihrer Meinung Gewalt – ja Vergewaltigung – nicht nur beschrieb, sondern unverblümt verherrlichte. In der DDR wurde es zudem in den Diskotheken verboten. Natürlich führte auch dies dazu, dass „Jeanny“ mit 2,5 Millionen verkauften Exemplaren zur meistverkauften Single des Jahres 1986 wurde.
Federleichter Popsumpf
Wer, wie Falco, im federleichten Popsumpf der achtziger Jahre Interpretationen verlangte und in einem knapp sechs Minuten langen Lied die Türen zu Metaebenen aufstieß, drang schnell an eine Grenze der Massen vor: Zu verstehen. Auf Falcos folgendem vierten Album „Emotional“ fand sich der Track „Coming Home (Jeanny Part 2, Ein Jahr danach)“, dessen Zeilen Ich hab‘ uns verurteilt / Ihr habt mich verurteilt wie eine traurig-spöttische Eigeninterpretation jenes Aufruhrs anmuten; zumal die „neue“ Jeanny im Video zum Lied zwei Sekunden lang mit einem Gewehr bewaffnet zu sehen ist, wie sie auf den singenden Falco herunterblickt, und damit auch dem Letzten die Verwirrungen der Opfer-Täter-Opfer-Frage fingerdick aufs Brot schmiert.
Schließlich lässt sich Falco in dem Song „Bar Minor 7/11 (Jeanny Dry)“ vom Album „Data de Groove“ (1990) von einer Barfrau bedienen, die Jeanny ähnelt, und über die er im Lied vermutet, dass sie sich auf Verlangen seines Plattenfirmen-Chefs Jeanny nennt.
Falco ist mit „Jeanny“ einer Meisterregel der Kunst gefolgt, die da lautet: Zeigen – nicht beschreiben! Er hat sich nicht in flauen Erklärungen verloren, sondern die Geschichte des Liedes nackt und unverblümt auf den Hörer wirken lassen, und so eine emotionale Tiefenwirkung erzielt, die über das einfache intellektuelle Abnicker-Verstehen hinausgeht. Mit Gewalt gegen Frauen sympathisierte Falco darin ebenso wenig, wie Dostojewskis „Schuld und Sühne“ eine Verherrlichung des Mordens ist.
„Das schönste an der US-Fahne sind die rot-weiß-roten Streifen“
Das Spiel mit dem Schein des rational geglaubten Seins hatte Falco lange durchschaut; an der Schwelle, seinen Ruhm als Weltstar in den USA auszubauen, verzichtete er mit den Worten: „Ich hätte oftmals Gelegenheit gehabt, nach Amerika zu gehen. Ich habe es nicht getan, weil das Schönste an der amerikanischen Fahne die rot-weiß-roten Streifen sind.“
Er hätte mir wohl geraten, mich auch nicht vor dem Nachbarsmädchen zu fürchten; und nach seinen Erfahrungen mit dem Vernunfthorizont der Medien, auch nicht vor dem Mann in mir, sondern vor dem Urteil einer Welt, die sich mit dem ersten Offensichtlichen zufrieden gibt, das sie in die Hand bekommt – und sich lieber von der Platitüde einer zu flüchtigen Interpretation einlullen lässt, aus der nur unsere Angst vor Selbstkonfrontation spricht.
„Die Polizei schließt die Möglichkeit nicht aus, dass es sich hierbei …“ – um Beschränktheit handelt.
Autor: Mark Pätzold
Quelle: „Der Spiegel Geschichte“ – Artikel vom