Falco fühlte sich „larger than life“. Ein Leben, das viel zu früh tragisch endete. ROLLING STONE erinnert an die Pop-Ikone.
Artikel von „Rolling Stone“ | erschienen am 27.01.2024
Als 1978 der Sänger Johann „Hans“ Hölzel, genannt Falco, mit 21 Jahren die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte – was er damals nicht wissen konnte – muss es ein ganz furchtbares Gefühl für ihn gewesen sein, wenn er in den Straßen seiner Heimatstadt Wien die Kinoplakate sah, zum Beispiel die mit dem tollen John Travolta im Saturday-Night-Anzug. Eine Angst, irgendwie doch am falschen Ort oder im falschen Jahrzehnt zu sein, oder beides. Oder ein wichtiges Stichwort verpasst zu haben, auf das er bloß ganz einfach hätte antworten müssen. Das juckende Unbehagen, das diejenigen Leute kriegen, die sich – der englische Ausdruck ist hier unschlagbar anschaulich – „larger than life“ fühlen, zu Größerem bestimmt, zu groß für das Leben, obwohl sie gleichzeitig in einem relativ kleinen Leben relativ fest drinstecken.
Falco verdiente damals sein Geld als Bassist und Sänger einer Tanzkapelle, einer Kommerzpartie, wie Wiener Musiker das nennen. Er fuhr nebenher unter anderem Haarprodukte aus und experimentierte mit Wet Gel. Zusätzlich war er eben noch bei der stadtberüchtigten Rock’n’Roll-Blut-Kotze-Schockgruppe Drahdiwaberl eingestiegen, und als er einmal in der gebügelten weißen Hose zum Auftritt kam, fragte der Bandleader ihn in der Garderobe: „So willst auf die Bühne?“ Falco: „Ja!“ – „Bist deppert? Du schaust ja aus wie ein Student, der grad zur Messe geht!“
Kindheit in Wien
Wien war vor dem Fall des Eisernen Vorhangs ein wenig wie Berlin. Zwar nicht durch eine Mauer in Ost und West geteilt, aber doch abgehängt von der einstigen Größe und Bedeutung. Wien lag seit 1945 im Windschatten der Geschichte, die ungarische und tschechische Grenze war nah. Ein randständiges Dasein, das Selbstdarsteller und Nostalgiker anzog, die genüsslich in Gedanken der kaiserlichen Vergangenheit schwelgten. Ein Käseglocken-Klima, das ideal war für Typen wie Falco. Ein genialer Angeber, Spinner und Selbstdarsteller, für den Pop und Popmusik das gleiche bedeutete, wie der Habsburger Hof für seine adeligen Vorgänger des 19. Jahrhunderts.
In Wien, Dreh- und Angelpunkt seines Seins, wurde Johannes „Hans“ Hölzel am 19. Februar 1957 geboren. Seine Mutter hatte während der Schwangerschaft einen Blutsturz erlitten, bei dem Johann als einziges Kind von Drillingen überlebte. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, wobei sich sein musikalisches Talent früh zeigte. Als Kleinkind sang er Schlager aus dem Radio auswendig nach und bekam im Alter von fünf Jahren ein absolutes Gehör bescheinigt. Manche behaupten, er habe nie ernsthaft daran gezweifelt, irgendwann reich zu werden, und als Kind soll er auf die Frage der Lehrerin, was er später werden wolle, „Popstar!“ geantwortet haben. Aber Kinder haben leicht reden.
Falco als Bürokaufmann
Hans Hölzel besuchte zunächst eine römisch-katholische Privatschule, während sein Vater die Familie wenig später verließ. Die Bindung zur Mutter, mittlerweile Inhaberin eines Lebensmittelgeschäftes, festigte sich in der Folge. Sie war es, die ihren Sohn dazu drängte, eine Lehre zum Bürokaufmann bei der Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft aufzunehmen, nachdem er immer häufiger im Schulunterricht fehlte und schließlich gar nicht mehr hinging. Bürokaufmann in einer Versicherung – wenn es für Falco so etwas wie die Hölle auf Erden gegeben hat, dann war es das. Nach kurzer Zeit zog er die Notbremse. Er spielte Gitarre, dann Bass, und schrieb sich am Wiener Musikkonservatorium ein. Der Aufenthalt währte ebenfalls nicht lang, denn Hölzel brach das Studium nach nur einem Semester ab, „um ein richtiger Musiker zu werden“.
Heute ist das Falco-Bild, das den meisten als erstes in den Kopf kommt, dagegen wohl die Anfangsszene des berühmten „Rock Me Amadeus“-Videos von Rudolf Dolezal und Hannes Rossacher: wie die Kutsche vor dem Palais Schwarzenberg in Wien vorfährt, wie Falco wahnsinnig dünn im schwarzen Anzug und mit Fliege und hingeschmierten Haaren aussteigt, die Nase rümpft, eigentlich sein gesamtes Gesicht rümpft, langsam das Spalier von Rokoko-Leuten durchschreitet, als sei ihm der Empfang arg lästig. Wie er zu rappen anfängt – „Er war ein Punker, und er lebte in der großen Stadt“ — und sich mit gestreckten Zeigefingern nach links und rechts selbst dirigiert. Praktisch überall, wo damals Menschen lebten, war Falco mit „Amadeus“ ganz weit oben, im irren Sommer 1985, der für ihn nonstop bis zum Frühjahr 1986 dauerte, denn da stand er sogar in Großbritannien und den USA auf Nummer eins.
„Muss ich denn sterben, um zu leben?“
Es war sein großer Coup, sein Grand Slam, seine Sieger- und Arschloch-Faust, das Ding, das ihm auch die vielen Feinde gönnten. Und es ging um alles. Hätte das nicht geklappt, also hätten sich die Leute beispielsweise tot gelacht über den Mann mit der Mozart-Perücke, was ja auch möglich gewesen wäre – dann wäre Falco aus Wien seitwärts in die Popgeschichte geflutscht als der Typ mit dem kuriosen Neue-Deutsche-Welle-Hit „Der Kommissar“ und sonst nichts, aha. Das wusste er. Das muss Falco vor Augen gehabt haben, als sie im Palais das Video drehten.
„Vor allem die Österreicher haben alle darauf gewartet, mich sterben zu sehen, nach dem Motto: Mit wehenden Fahnen auf den Zentralfriedhof‘, sagte Falco im Dezember 1986 in einem Interview mit dem „Musikexpress“, als die Nach-Amadeus-Platte „Emotional“ erschien. „Das liegt so an dem sozialen Gefüge und den österreichischen Journalisten, die nie, wie in Amerika oder England, mit den Stars befreundet sein könnten… menschlich wirst du für diese Herren erst mit dem Tode.“
Sicher war Falco brillant gelaunt, als er das sagte. Man findet solche Sprüche haufenweise in seinem Repertoire, denn wenn er schon den Star spielte, dann musste der Tod logischerweise sein Buddy sein – in letzter Konsequenz bis in den posthum veröffentlichten Song „Out Of The Dark“ hinein, in dem er das noch mal gesungen hatte: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“ Als er kurz danach in der Dominikanischen Republik im Mitsubishi mit einem Bus zusammen stieß, war das ja auch kein großer Abgang, sondern mehr das, was in Polizeiberichten „Disco-Unfall“ genannt wird.
Alkohol oder Mineralwasser?
Im Frühjahr 1986, bei der improvisierten Feier zur US-Nummer-eins, sei Falco — wie mehrfach verbürgt ist — auffallend betrübt gewesen. Wie es denn jetzt weitergehen solle, nachdem der Triumph nie mehr zu toppen sei, habe er verzweifelt gefragt – Nummer römisch eins könne man ja nicht werden. Er hatte völlig recht: Danach kam nichts Besseres mehr, höchstens Schlimmeres. Es stellte sich schlicht heraus, dass Hans Falco Hölzel, entgegen der eigenen Vermutung, gar nicht so sehr viel größer als das Leben war – plötzlich war es genau umgekehrt, plötzlich war ihm sein Leben zu groß. Ist das Ziggy Stardust, the rise and fall, der Mythos von einem, der sich an der Sonne verbrannt hat, die typische, tragische Geschichte?
Arrogant und unnahbar waren der Charakter Falco und der arme kleine Hölzel sicher aus ganz unterschiedlichen Gründen: Der Star lebte 1985 schon im grundnatürlichen Verfolgungswahn, dass alle nur auf sein Geld spechteten. Er umgab sich mit reichen Wiener Bürgersöhnen, denn die brauchten bei ihm nicht zu schnorren. Er aß bei Oswald & Kalb, das konnten die alten Freunde sich nicht leisten, und nach dem Konzert kam der Chauffeur und nahm ihn ins Hotel mit. Und ob Falco dort ein Girl küsste, Kokain benutzte oder Schnaps trank, stand dann drei Tage später in der Zeitung.
„Der Hans war das, was man einen Quartalsäufer nennt“, sagt Thomas Rabitsch, ehemaliges Bandmitglied in Drahdiwaberl und später Teil von Falcos Live-Band. „Drei Monate bist du komplett trocken, und wenn du dann einmal am Glas nippst, kippst du um und hörst die nächsten zwei Wochen nicht mehr auf. Und dann wieder Mineralwasser. Die Mineralwasserzeit war immer höchst angenehm, weil er da ein völlig klarer Mensch war, mit dem man irrsinnig gut arbeiten konnte.“
Falcos sinkender Stern
Man darf ja nicht vergessen, dass die Verklärung der Achtziger als kühles, gelacktes und verkokstes Neon-Jahrzehnt vor allem rückwirkend stattfand – in den echten 80er-Jahren galt man primär als arroganter Depp, wenn man so wie Falco rumlief. Man muss zum Test mal den anderen deutschsprachigen Star der Dekade danebenstellen. Nena. Ihre Achselhaare. Ihr Altrocker-Schweißband.
Den Spätsiebziger-Hörern, die weder mit Sampling-Musik noch mit den Massen-Coverversionen der Neunziger vertraut waren, müsste damals gleich aufgefallen sein, dass der Großteil von Falcos frühen Hits geklaut war. „Der Kommissar“ war „Super Freak“ von Rick James, „Helden von heute“ war David Bowies „Heroes“ „Junge Römer“ eine ganze Bowie-Compilation, und den Anfang von „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang, ein Genuschel aus „boogie“ und „beat“, benutzte Falco noch Jahre später, wenn ihm nichts anderes einfiel.
„Durch die Zufälle des Lebens war ich seit Mitte der Achtziger öfters in Wiener Bars und Clubs unterwegs, wo der ‚Herr Hölzl‘ mit seinen Kumpels seine Tresen-Show abzog“, schrieb ROLLING-STONE-Autor Ralf Niemczyk. „Musikalisch stand er klar unter dem Kuratel von Robert Ponger (Produzent von „ Der Kommissar“) und später der Bolland-Brüder.“
Niemczyk weiter: „Doch was die Grundidee und Präsentation der von ihm geschaffenen Figur ‚Falco‘ betraf, war er unschlagbar. Ich habe ihn später, als sich sein Stern bereits senkte, im Jahr 1990 bei einem Interview zum Album ‚Data de Groove‘ in seiner Wiener Wohnung erlebt. Ur-Produzent Robert Ponger war damals wieder am Start. Doch die alte Magie wollte sich nicht mehr einstellen. Die boomenden Genres House, HipHop und Techno ließen Falcos ungelenken Beat-Barock einfach nur alt aussehen. Er kam einfach nicht mehr klar mit den Stilen und Moden der Subkulturen. Es gehört zum tragischen Schicksals des Hochstapler-Typus, dass diese nicht erkennen, wann ihre Zeit vorüber ist.“
Umzug in die Dominikanische Republik
Der Umzug in die Dominikanische Republik, in ein Ressort in der Nähe von Puerto Plata, geschah schließlich aus gemischten Gründen. Wetter, Steuern, allgemeine Trübsal, Einflüsterung. Hans Mahr, damals Berater und enger Freund Falcos: „Das war kein Gang ins Exil, das war der Abgang. Falco wollte weg aus der Welt, die ihn so kritisiert hatte, denn er wollte nicht die Konsequenzen ziehen, auf die Kritik auch mal zu hören und sich zu ändern. Er hatte schlechte Freunde, die ihm da zugeredet haben, Leute, deren Nähe er nur gesucht hat, weil die ihn nie kritisiert haben.“
Ein früherer Tontechniker besuchte Falco auf der Insel und wollte dann nicht mehr hin, weil er den Autoverkehr für lebensgefährlich hielt. Am 6. Februar 1998 fuhr Falco vom Parkplatz einer Disco in der Nähe von Puerto Plata, als ihn ein Bus mit voller Wucht rammte. Der Popstar war sofort tot. Aus dem Obduktionsbericht ging hervor, dass er stark betrunken war und zudem THC und Kokain konsumiert hatte. „Man muss daran denken, dass er dort in einer ganz anderen Welt war“, sagte Thomas Rabitsch. „Er ist abgeschossen worden von dem Bus, um vier Uhr nachmittags beim Rausfahren vom Parkplatz. Das war schlicht ein depperter Autounfall.“
Falcos Leichnahm wurde nach dem Unfall zurück nach Österreich überführt. Über 4000 Fans wohnten seiner Beerdigung auf dem Wiener Zentralfriedhof bei, auf der Mitglieder der „Outsiders Austria“, jene Biker-Gruppe, die im „Rock-Me-Amadeus“-Video mitgespielt hatten, den Sarg trugen.
Foto: © Peter M.
Quelle: „Rolling Stone“ Germany | erschienen am 27.01.2024 | Autor wurde nicht genannt.