Falcos Todestag Mozart mit der Punk-Perücke
Der Höhenflug des Falken
Seine großen Hits wie „Der Kommissar“ oder „Rock Me Amadeus“ (mit dem er drei Wochen lang die US-Charts anführte) waren nur noch Kuriositäten, altes Zeug, das launige Radio-DJs in Anfällen von Nostalgie zwischen „das Beste von heute“ quetschten. Sein letzter echter Hit lag über eine Dekade zurück. Es war der „Jeanny“, die Skandalballade, in der die Vergewaltigung eines Mädchens angedeutet wird. Viele Fernsehsender und Radiostationen weigerten sich, den Song oder das Video zu senden. Nicht das schlechteste Marketing für die Single: „Jeanny“ wurde mit 2,5 Millionen verkauften Einheiten und acht Wochen auf Platz 1 der Charts das erfolgreichste Musikstück des Jahres 1986.
Der plötzliche Erfolg verunsicherte Hans Hölzel. Er hatte Angst, dass Falco diese Erfolge nie wieder würde toppen können – und behielt recht damit. Es folgten vier Alben, die den Weltstar nach und nach in die Bedeutungslosigkeit abrutschen liessen, „Emotional“ (1986), „Wiener Blut“ und „Data de Groove“ (1990), der Tiefpunkt seiner Karriere an dem sich Falco schwor nie wieder Zeilen wie „The Mega the Score, desto Mono de Chrome“ zu verfassen. Sein siebtes Album „Nachtflug“ (1992) landete mit der Single „Titanic“ zumindest einen kleinen Hit. Ein Comeback wurde diese Stippvisite in den Hitparaden allerdings nur von den hartnäckigsten Verehrern genannt.
Freunde und Fans wollten nicht folgen
Auch die vielen Freunde, die sich so zahlreich um sein Grab scharten, hatten Falco lange nicht gesehen. Noch wenige Wochen zuvor hatte er zwanzig Einladungen inklusive Flugtickets in die Dominikanische Republik zu einer Weihnachtsfeier unter Freunden verschickt. Die Party sollte in seiner Miets-Villa in dem Touristenghetto „Hacienda Ressorts“ steigen. Gekommen war, von seiner Mutter Maria mal abgesehen, nur einer: Ronnie Seunig. Er wurde später der Nachlassverwalter für Falcos Erbe und 2006, als Falcos Mutter nach drei Schlaganfällen bereits einige Zeit schwer behindert war, beschuldigt, Teile des millionenschweren Vermögens des Sängers veruntreut zu haben.
Zu Hans Hölzel, dem gescheiterten Popstar, der vor seinen eigenen Ansprüchen an Ruhm, Kunst und sich selbst ins Exil geflohen war, wollten die sogenannten Freunde nicht kommen. Dem komplizierten Falco, dem Künstler der mit Tracks wie dem Reggea-Elektro-Rock-Rap-Misch-Masch „Yah-Vibration“ sein musikalisches Universum um immer mehr Stile erweiterte oder mit den Texten zum Album „Data de groove“ seine Lyrik maximal verdichtete, wollten die Fans nicht folgen. Doch der Tod macht alles einfach. Der Tod macht gescheiterte Popstars zu Legenden und Menschen, die Einladungen zu einer Weihnachtsfeier einfach ignorieren, zu besten Freunden.
Ein typischer Abbrecher
Vielleicht ist das der Preis des Ruhms, nach dem Falco, den seine Mutter bis zu seinem Tod Hansi nannte, schon in seiner Jugend gestrebt hat.
22 Jahre zuvor hatte der 18-jährige Hans Hölzel die Silvesternacht von ’75 auf ’76 in Berlin verbracht. Der junge Österreicher war da noch längst kein junger Römer, sondern ein typischer Abrecher. Fans würden sagen: ein Suchender. Seine Schulausbildung am Rainer Gymnasium in Wien, seine Ausbildung zum Bürokaufmann, sein Jazz-Bass-Studium am Wiener Musikkonservatorium, alles hatte er vorzeitig an den Nagel gehängt. Stattdessen wollte er Musiker sein, ein weltberühmter wenn’s geht. Ja klar.
Über den Fernseher flimmerte das Neujahrsskispringen. Einer der Sportler fiel ihm auf. Ein paar Jahre später wird Hölzel selbst im Fernsehen auftreten dürfen und erzählen, dass ihm der DDR-Skispringer Falko „Der Falke“ Weißpflog imponiert habe. Er sei so mutig gewesen, und eine tolle Frisur habe er auch gehabt. Genau der richtige Namenspate also für einen jungen Künstler, der zum Höhenflug ansetzen will. Ein bisschen internationaler durfte es aber schon sein, deshalb ersetzte der Möchtegern-Weltstar das „k“ in Falko gegen ein „c“. Falco war geboren und sollte Hölzels alter ego bleiben.
Und während der sensible Hansi, der Live-Auftritte hasste und ständig mit sich haderte, vielleicht nicht unbedingt zum Popstar geboren war, machte Falco sich zielstrebig auf den Weg nach oben.
Ganz Wien … ist auf Heroin
Schon in seinem ersten selbstkomponierten Stück steckte alles was Falco ausmachte. Es war 1980, und es war in Wien. Er tourte als Bassist der Performance-Kunst-Punk-Kombo Drahdiwaberl und sein Song „Ganz Wien“ war eigentlich nur ein Pausenfüller, während der Sänger sein Kostüm wechselte. Trotzdem verfiel er bei seinen Zeilen bereits immer wieder in die für ihn so typische Rap-Rhythmik und wienerte so affektiert, wie es die Massen später bei seinen Hits „Der Kommissar“ und „Rock Me Amadeus“ so liebten. Und natürlich wäre Falco nicht Falco gewesen, wenn sich „Ganz Wien“ nicht schon damals auf „ist auf Heroin“ gereimt hätte.
Und so machte er seinen Weg. Er war der überdrehte Mozart mit Punk-Perücke, der irre Vergewaltiger in der Gummizelle, der junge Römer. Er nahm den deutschen HipHop vorweg und inspirierte damit Rap-Gruppen wie Fettes Brot und die Fantastischen Vier. Er rrrrollte das „r“ schon herrlich bedrohlich, als der Sänger von Rammstein noch mit seiner Punk-Band First Arsch im Hobbykeller dilettierte. Und nach dem Besuch einer Disco am Wörthersee adaptierte er mit „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ ohne Berührungsängste den Techno. Dabei agierte der Allround-Extremist immer hart am Limit und manchmal ein Stück drüber, balancierte immer auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Klischee.
Doch war der Eklektiker, dem es gelang, tausend Stile und popkulturelle Versatzstücke zu einer ganz eigenständigen Welt zusammenzufügen, nicht immer hundertprozentig stilsicher. In seinen Musikvideos schauspielerte er mit dem Überschwang eines Schultheater-Stars beim Faust-Monolog. Sein trashiges „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ hätte den schlechtesten Nummern von Blümchen zur Ehre gereicht (von dem übel wortwitzelnen Text mal ganz zu schweigen). Und, bei aller Liebe: die bunte Perücke aus dem „Amadeus“-Video war ja wohl ein schlechter Scherz.
Death sells
Trotz aller Tiefschläge hatte Falco sich abernoch lange nicht aufgegeben, als er am 6. Februar 1998 auf dem Parkplatz der „Turist Disco“ das Gaspedal seines schwarzen Pajero durchtrat. Eine Stunde lang soll er zuvor allein in seinem Auto gesessen haben. Manche vermuten, er habe sich in dieser Zeit sein Album „Out Of The Dark (Into the Light)“ noch einmal durchgehört, das bald erscheinen sollte – denn er feilte noch an der perfekten Reihenfolge der Songs. Und auch der Ausdruck auf dem Gesicht des Toten Hans Hölzel spricht dafür, dass Falco noch viel vorhatte. „Es war“, erklärte ein Zeuge des Unfalls, „als hätte sich das ganze Entsetzen, das ganze Erkennen der tödlichen Situation Bruchteile von Sekunden vor dem Zusammenprall in sein Gesicht gegraben.“
In geselligen Runden ebenso wie in verzweifelten Momenten sagte Falco manchmal, er müsse wohl erst sterben, damit Wien ihn liebt. Mit seinem Tod hat sich diese Prophezeiung bestätigt. Death sells. Folgerichtig rotierten schon während seiner Beisetzung die CD-Pressen auf Hochtouren. Eine Woche später stand die Falco-Single „Out Of The Dark (Into The Light)“ in den Regalen. Sie bescherte dem toten Popstar mit einer Million verkaufter Einheiten ein posthumes Comeback – und machte Falco zur Legende.
Zehn Jahre nach dem Tod des Rock-Idols rattert die Vermarktungsmaschine noch immer. Pünktlich zum 10. Todestag startet der Film „Falco – Verdammt wir leben noch“ in den österreichischen Kinos. Außerdem erscheint ein Buch von Katharina Bianca Vitkovic. Die mittlerweile 20-jährige dachte bis zu ihrem achten Lebensjahr, sie sei die leibliche Tochter von Falco. Der Titel der Publikation: „Falco war mein Vater“.
Damit hat der Hansi aus Wien also bekommen, was er sich so sehnlich gewünscht hat, als er sich von dem Skispringer Falko Weißpflog zu seinen Namen inspirieren ließ. Und was für Skispringer gilt, traf auch auf die Karriere des österreichischen Falken zu: Es kommt nicht darauf an, wie lange man fliegt, sondern wie weit man kommt.
Autor: Benjamin Maack
Quelle: „Der Spiegel Geschichte“ – Artikel vom