Artikel: Regie-Anarcho Paulus Manker über die wüste und geniale Falco Cyber-Show – 2000

Falcos wilde Auferstehung
Falco Musical. Regie-Anarcho Paulus Manker über die wüste und geniale Cyber-Show. Premiere am 1. April im Wiener Ronacher.

Ein überdimensionaler Videoscreen zeichnet die Konturen von Falcos unverwechselbarem Charakterkopf. Eine Computerstimme tönt blechern dazu: „Sind Sie sicher, dass Sie alle Daten auf der Festplatte löschen wollen?“ Der Protagonist drückt die Ja-Taste. Die Computerstimme insistiert weiter: „Sind Sie sicher, dass Sie die-sen Befehl ausführen wollen?“ Wieder drückt der Mann am PC in völliger Verzweiflung die Ja-Taste. Mit letalen Folgen: Der Kopf am Videoscreen beginnt zu kreisen. Immer schneller und schneller, bis er schließlich explodiert. Mit dieser Metapher auf das innere Zerwürfnis des Pop-Exzentrikers Hans Hölzel beginnt die elektronische Pop-Oper mit dem programmatischen Titel „F@lco ? A Cyber Show“. NEWS begab sich hinter die Kulissen des bombastischen Spektakels, das ab dem 1. April im Wiener Ronacher für Superlativen sorgen dürfte:

„Schlafes Bruder“-Star André Eisermann mäandert virtuos zwischen Hans Hölzel und seinem Golem Falco.
Der Superstar verfügt sich post mortem via Bildschirm, Vidiwall und als Computeranimation ins Geschehen.
Bühnenextremist Paulus Manker inszeniert die spektakulärste Show des Frühlings mit einem Rekordbudget von 30 Millionen Schilling.
Der israelische Autor Joshua Sobol („Ghetto“, „Alma“) modifizierte bis zuletzt fast wöchentlich das Skript.
Die 22 Vorstellungen der schon jetzt zum Kultstück avancierten Show sind praktisch ausverkauft. NEWS-Leser haben die Möglichkeit, am 29. 3. eine Vorpremiere zu besuchen. Lesen Sie, wie Regisseur Paulus Manker den aberwitzigen Grenzgang der Proben und das Phänomen Falco schildert.
Wenn Paulus Manker auftritt, ist im Theater nichts wie sonst. Enormen Publikumserfolgen steht offener Hass der Kritik ? vor allem der hiesigen ?gegenüber. Schauspieler gehen mit ihren Bühnengestalten an Grenzen. Für NEWS schildert er die aberwitzige Zeit als Regisseur und Produzent des Ereignisses „F@lco ? A CyberShow“ und analysiert das Phänomen.

Protagonist ist Hans Hölzel, der Mensch. Sein Antagonist aber ist Falco, der nur als virtuelles Wesen, als Projektion und Mediengestalt existiert. Das zweite Ich, gegen das er antritt und das ihm das Leben zur Hölle und das Sterben so schwer macht. Er findet seit Jahren keine Ruhe, weil da ein anderer schon an seiner Stelle gestorben ist, nämlich der Name und der Nimbus Falco. Die möchte er zurückholen, und das ist die Hölle. Oben steht sein Laser-Gegenüber, sein Dämon und Golem. Du greifst hin, und er ist weg. Du greifst durchs Wasser, und er ist weg. Du gehst auf die Monitore zu, und sie gehen aus.

In der Show trifft aufeinander, was sonst nie zusammenkommt: eine Wasserleinwand, die es sonst nur auf Seebühnen gibt; der vehemente Indoor-Einsatz von fünf Laserprojektoren. Und das alles nicht als Effekthascherei, sondern als Spielwiese für Falco, den virtuellen Dämon. Gerade haben wir den Untergang der Titanic geprobt, die komplizierteste Szene von allen. Sie besteht zuerst nur aus einem Lied. Dann dringen wir ins Schiff vor ? der Zuschauerraum wird zum plüschigen Innenleben des Ballsaals. Der Eisberg, der bis ins Publikum fährt, kollidiert mit dem Schiff. Zehn Windmaschinen sind im Einsatz, Nebel, Wassergischt von oben, ungeheure Lichteffekte. Eine Orgie an Sound beginnt, Gegenstände bersten, Panik bricht aus, Signallampen flackern, die Wasserleinwand im Zuschauerraum reißt das Schiff in die Tiefe. Der Laser bildet einen Abgrund, in den Hans Hölzel gerissen wird und fast ertrinkt. Bis er an seiner Insel in der Karibik, die später der Schauplatz seines Todes ist, angeschwemmt wird und dort eine Art Prospero trifft: Baby Blue, Todesengel und Mutterfigur zugleich.

Um die Mutterbindung geht es immer wieder. Wir reisen ja in seine Seele. Wir zeigen das Mädchen, das scheinbar ein Kind von ihm bekommt und ihm das Desaster seines Lebens beschert, weil das Kind nicht seines ist. Wir zeigen die Dämonen, die Hans Hölzel treiben, sowie er den Computer hochfährt und Falco erschafft. Der bringt ihm Geld, Mädchen, Erfolg, Sex, aber auch Dämonen, die ihm dienen, solange er Erfolg hat und Blut gibt und sich nackt auszieht wie beim Song „Naked“. Wenn er aber auch nur 98 Prozent gibt, fallen sie über ihn her und saugen ihn aus. Diese Dämonen können der Alkohol sein, ein Kind, Menschen in seinem Leben und die Journalisten, denen ich nichts schenken werde. Beim Lied „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ bleibt auch diese Seite seines Lebens nicht ausgespart. Aber der Koks, der da wie ein Schneesturm über ihn kommt, ist nicht die Metapher für die Dekadenz des Pop-Stars. Er ist das Computervirus, das Hans zuletzt anzuwenden versucht, um den virtuellen Falco zu zerstören. Er glaubt, dass der Golem endlich aufgefressen ist, aber am Ende wird er erkennen müssen, dass er sich geirrt hat. Du kannst eine Festplatte löschen oder formatieren. Aber eine virtuelle Kreatur, die du einmal geschaffen hast, kannst du nicht mehr löschen. Die Sexualität in Falcos Leben sparen wir nicht aus. Es war ja eine ungeheure Fluktuation da, große Glücksfälle ? leider zu wenige ? und viele Verletzungen. Und immer die Unsicherheit: Mit wem schläft sie? Mit Falcos Geld und Nimbus, oder mit Hans? Jeanny ist bei uns das Symbol für alle seine Frauen mit Ausnahme der Mutter. Und sie ist kein Vergewaltigungs- und Lustmordopfer, wie es sich die Journalisten, die von uns eine ungeheure Schelte bekommen, phantasiert haben.

Das Haus ist nie unbesetzt, es geht praktisch rund um die Uhr. Um sechs Uhr früh beginnt die Technik und arbeitet bis Mittag. Dann kommen die Schauspieler, und es geht bis neun, zehn, elf Uhr nachts. Dann der Ton, dann der Laser, und wenn wir um sechs das Haus verlassen, kommt die Videotechnik. Ich selbst arbeite am intensivsten in der Nacht, bis vier oder fünf. Und da ich Mitproduzent bin, muss ich in der Früh wieder da sein. Was wir hier tun, geht an die Substanz aller. Ich habe Mitwirkende verloren, aber das ist unwichtig: Wenn man sich zu einer gemeinsamen Nacht zwingt, und es ist nichts Gemeinsames da, zieht man sich an und geht. Das mache ich immer so im Leben. Auch meine Substanz ist in dieser Arbeit. Ich interessiere mich für nichts anderes als die Substanz. Ich mache keine Geschichten, die nichts mit mir zu tun haben, und keine über Menschen, für die ich keine Liebe empfinde. Und deshalb ist das eine Liebeserklärung und sicher kein Skandalstück. Frauen, Drogen und Alkohol aus seinem Leben kommen im Stück vor, weil ein Künstler Befruchtung braucht. Wo er sich die holt, ist egal. Er will nur ganz tief in sich hinein. Die Kritiker interessieren mich nicht. Vor allem von den österreichischen halte ich nichts. Sie lassen uns seit Jahrzehnten schmählich im Stich. Es gibt keinen, der uns begleitet. Sie können nicht einmal berichten, was sie sehen, geschweige denn, sie hätten einen eigenen Blick darauf ? und geschweige denn, wir hätten etwas davon.

Ich weiß nicht, wie Falco angesichts der Situation in Österreich reagiert hätte. Es gibt ja nicht viele politische Aussagen von ihm. Aber wir haben ein posthumes Lied in der Show. Es heißt „Europa“ und ist ein Bekenntnis: „Ich sehe euch alle Revue passieren/ dunkle Gestalten/ uniformiert in eurer Niedertracht/ und wie lange noch steht eure Inszenierung entgegen/ unserer saftigen Übermacht.“ Das Lied wurde während der Demonstration auf dem Stephansplatz gespielt und kam wie ein gewaltiger moralischer Imperativ. Wir werden auch einen inszenatorischen Kommentar dazu finden, so wie auch bei seinem Lied „Revolution“, das uns lehrt, dass man Haltung beziehen muss, an jeder Straßenecke. Deshalb finde ich zwar die wirtschaftlichen Boykotte richtig, weil sie dem kleinen Mann auf der Straße beibringen, dass ihm seine Entscheidung und sein Schweigen wehtun. Die Künstler aber haben immer die Stimme erhoben. Man hat das auf Plakaten nachlesen dürfen, auf denen Elfriede Jelinek zum Abschuss freigegeben war. Es fehlten nur Telefonnummer und Adresse, damit die Horden hingehen und ihr die Fensterscheiben einschmeißen können. Das Land müsste also nicht boykottiert, sondern von ausländischen Künstlern überschwemmt werden. Und unsere Künstler sollten als Stimme des Gewissens die Welt überschwemmen. Wenn die Herren Schüssel und Haider in die Vorstellung kommen, wird ihnen klargemacht, dass ich sie nicht hier haben will. Ich bin Mitproduzent und Hausherr und muss mir aussuchen können, vor wem ich mein Innerstes zeige. Ich weiß, dass wir in unserem Beruf Huren sind. Aber ich lasse mich nicht von jedem ficken. Und von jemandem, von dem ich weiß, dass er Aids hat, schon gar nicht.

 

Quelle: NEWS 12/2000