Artikel: Wenn Falco das noch erlebt hätte! – 2007

1998 fuhr Johann Hölzel gegen einen Kleinbus. Österreichs größter Popstar starb – und hinterließ eine ständig wachsende Fangemeinde. An diesem Montag wäre Falco 50 Jahre alt geworden. Die Falco-Verwertung hätte ihm gut gefallen.

Im Grunde galt schon das vergangene als Falco-Jahr. Das Jahr, in dem in Wien gepuderte Perückenträger rudelweise neben kichernden Japanerinnen standen und sich Salzburg als weltkulturelles Epizentrum fühlte. Mozart feierte Geburtstag, den 250., und seinen körperlichen Abschied vor 215 Jahren. Und weil niemand ihn so schamlos popularisiert hatte wie Falco, geisterte der ebenfalls zu jung gestorbene Sänger durch die Festlichkeiten. Wer von Mozarts heutiger Bedeutung sprach, vergaß nie, „Rock Me Amadeus“ zu erwähnen und den Wiener Pantheon, den beide nun bewohnten.

Die postume Heiligsprechung hätte Falco gut gefallen. Das Theater auch. Um ihn, sein kulturelles Erbe und den 50. Geburtstag, den er nun, im eigenen Jubeljahr 2007, hätte feiern können, wäre Falco vor neun Jahren nicht mit einem Kleinbus tödlich kollidiert. Es wirkt so albern wie gespenstisch, wenn sie ihn in heute Fernsehshows an Wände projizieren. Unablässig nimmt Maria Hölzel stellvertretend Preise für des Sohnes Lebenswerk entgegen. Wenn sie nicht gerade um den Nachlass streitet.

Der geplante Falco-Film

Thomas Roth, ein Regisseur, ringt unterdessen um den Film „Verdammt, wir leben noch“. Geplant ist, Falcos Leben in den Kinos anlässlich des 10. Todestags im Februar 2008 zu zeigen. Bis dahin muss Roth nun einen anderen Darsteller als Robert Stadlober finden. Die Figur des Popstars Falco schien dem Schauspieler „zu alt“ und zu „zu facettenreich“.

Der Videofilmer Rudi Dolezal, der die Figur nicht unmaßgeblich prägte, drückt es weihevoller aus: „Der Hansi ist ja jetzt in einem anderen Zustand.“ Es ist dieser Elvis-, Jimi-Hendrix- oder Kurt-Cobain-Zustand, bei dem Verklärung und Vermarktung alles übertreffen, was zu Lebzeiten geschah. Im deutschen Sprachraum mag dies Klassikern wie Mozart widerfahren aber keinem nach dem letzten Krieg geborenen Künstler. Außer Falco.

Hansi, das war Johann Hölzel aus Wien-Margareten, wo es heute an der U-Bahn Kettenbrückengasse eine offizielle Falco-Stiege gibt. Dass er als Einziger von Drillingen lebendig auf die Welt kam, hat die Seelenanalyse, die Fans gern betreiben, heftig angeregt. Zumal sein Vater früh verschwand. Die Hölzels zählten sich zum Proletariat. Nichts desto Trotz freute sich schon der vierjährige Hansi zum Geburtstag über ein Klavier, zum fünften über einen Plattenspieler und einen Termin an der Musikakademie. Dort wurde das von Biografen immer gern gerühmte absolute Hören festgestellt. Die Schule war für Hansi dennoch nach einem Jahrzehnt beendet. Eine Lehre bei der Österreichischen Pensionsversicherungsanstalt brach er zeitig ab, das Konservatorium ebenso. Beim Bundesheer entdeckte Hölzel für sich den Elektrobass.

Austro-Anarchie mit Drahdiwaberl

Von allen Rockgruppen, die ihn beschäftigten, von Umspannwerk bis Spinning Wheel, darf eine Band nicht unterschlagen werden: Drahdiwaberl. Sie verdankte sich dem 68er-Aufbruch, der Aktionskunst und der ausgeprägten Austro-Anarchie. Von Stefan Weber (der heute als etablierter Künstler selber Tortenangriffen zum Opfer fällt) begründet, sorgte Drahdiwaberl weniger für wertvolle Musik als für Tumulte. 1981 wurde ein Politiker dabei mit Suppenhühnern attackiert und Drahdiwaberl von der Wiener Stadthalle mit ewigem Hausverbot belegt. Dabei stach Falco als Bassist ins Auge, weil er seinen Maßanzug nicht nur vollkommen ironiefrei trug, sondern mit Plastikfolie gegen die umher fliegenden Nahrungsmittel schützte.

In den späten siebziger Jahren hatte die Verwandlung bereits stattgefunden. Hansi wurde Falco. Ein verfrühter Yuppie, angeödet, zynisch und narzisstisch und bei all dem bester Dinge. 1976 feierte er in Berlin den Jahreswechsel und kam wieder zu sich, als das Neujahrs-Skispringen im Fernsehen lief. Am weitesten flog Falko Weißpflog aus der DDR vom SC Traktor Oberwiesenthal, genannt „der Falke“. Johann Hölzel fühlte sich bereit fürs internationale Popgeschäft, fand seinen Künstlernamen, änderte das provinzielle K zum weltläufigen C, verwarf den zusätzlichen Namen „Gottehrer“ und wurde fortan wütend, wenn ihn jemand Hansi nannte. Schon bei seinem folgenden Gastspiel bei der Gruppe Drahdiwaberl hatte Falco die Figur und ihre Kunst vollendet. 1980 schrieb, sang, schmähte er „Ganz Wien“. „Ist heut auf Heroin“, ging der komplette Reim. Die Masche und die Mittel wurden während der verbleibenden 18 Jahre nicht geändert: Drogen, Dekadenz und Dialekt-Deklamation. Und Haargel.

Falco knüpfte damit an die zwanziger und dreißiger Jahre an. Die deutsche Popmusik erlebte in den sogenannten Goldenen Jahren zweifelsohne ihren schöpferischen Höhepunkte. Seinen Niedergang erlitt der Pop in Deutschland durch die Nazis, als die wichtigsten Musikschaffenden umgebracht oder vertrieben wurden. Immer wieder gab es ehrbare Versuche, diese Traditionen zu beleben. Udo Lindenberg gelang es in den Siebzigern gelegentlich. Es ging ja nicht um schmierige Schlagernostalgie, sondern um Rock- und Popmusik. Darauf wies Falco hin, indem er sich in Discotheken statt im Ballsaal zeigte. 1995 sang er „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“, den Dreißiger-Jahre-Schlager. Allerdings sang Falco ihn als postmodernen Partyhit. Wie jeden Song nach 1980.

„Rock me Amadeus“ Nummer 1 in USA

Damit machte er sogar den Weltmarkt auf sich aufmerksam. „Der Kommissar“ war erst das zweite deutschsprachige Lied, das in die US-Hitparaden fand, nach „Autobahn“ von Kraftwerk. „Rock Me Amadeus“ schaffte es als einziger Song bis an die amerikanische Spitze. Die Erfolge sorgen hierzulande eher dafür, dass Falco überschätzt wird als genialer Komponist und Musiker, der sein Niveau zeitlebens hielt. Aber bot etwas viel attraktiveres an: den originellen Darsteller. Sein zweites Album „Junge Römer“ fiel verdientermaßen durch, trotz eines in Amerika gedrehten abendfüllenden Videoclips. Er sang damals sogar mit Desirée Nosbusch und in einer späteren Schwächephase mit Brigitte Nielsen.

1985 aber stand der Star der Dritten Wiener Schule auf dem Gipfel seiner Kunst. Dort trug er nicht nur die Perücke und die Amadeus-Nummer vor. Es war das „Jeanny“-Jahr. Gegen die Rolle eines Triebtäters und Vergewaltigers, in die sich Falco fantasierte, wirken spätere Versuche eines ähnlichen Skandals bei Rammstein und den Bösen Onkelz harmlos. Damals liefen Videoclips als Kurzfilme. Der Sänger war darin mit Hut und langem Mantel als bedauernswerte Existenz zu sehen, die ein Mädchen aus der Disco in die Wälder zerrte. Warnend wurde Wilhelm Wieben eingeblendet aus der „Tagesschau“. Am Schluss des Clips saß Falco verschnürt in einer Zwangsjacke vor Kachelwänden. Anschließend brach einiges los: Der deutsche Sprachraum sammelte zum ersten Mal Erfahrungen mit Popzensur und ihrer segensreichen Wirkung auf den Tonträgerkonsum.

Die damalige Diskussion ging davon aus, dass einem Popsong keinesfalls das distanzierende Moment der anerkannten Künste zugestanden werden dürfe. Falco legte nach. Als ein Jahr später „Coming Home“ erschien, die Fortsetzung von „Jeanny“, wurden mehrere Erklärungswege angeboten: Jeanny war nur von zu Hause ausgerissen. Während sich ihr Peiniger statt in der Psychiatrie im sicheren Gefängnis wieder fand und seinen widerlichen Träumen nachhing. Doch am Ende stand der Mann mit seinem Koffer wieder vor der Disco. Die Sozialprognose schien nicht günstig. Falco scherte sich als einziger bedeutender Sänger deutscher Sprache nicht im Mindesten um Interpretation und Missverständnisse. Gern sprach er achselzuckend über „öffentliche Interpretationen“. Auch das hatte eher mit Pop zu tun und weniger mit Liedgut.

Sogar Blitze schlugen ein, wenn Falco auftrat

Denn wenn Popkultur bedeutet, eine aus dem Spur geratene Welt im 20. Jahrhundert zu ertragen, haben Falcos Stücke stets auf die bewährten Attraktionen hingewiesen: Sex und Drogen. Und er hat sich rar gemacht und seine Auftritte auf wenige unvergessliche Momente reduziert. Auf die vom Erzbischof beklagte „Entweihung“ des Salzburger Residenzplatzes. Oder vor 100.000 nassen Jüngern auf dem Wiener Opernplatz, als Falco 1993 im Gewitter sang und pünktlich beim Lied „Nachtflug“ durch den Blitz illuminiert wurde, der dann auch auf der Bühne einschlug und für heilige Stille sorgte.

1996 zog er fort, in die Dominikanische Republik. Dort nahm er 1998 seine letzten Lieder auf. Da sah man ihn am 6. Februar desselben Jahres auf dem Parkplatz, im Geländewagen vor sich hin starrend und plötzlich startend, wie er auf die Straße bog und den entgegenkommenden Wagen übersah. Die Obduktion ergab: 1,5 Promille Alkohol, Koks (2,604 Nanogramm) und reichlich Marihuana. Weil der Pop bekanntlich Menschenopfer fordert, also niemanden nur sterben lässt, wird seither vom James-Dean-Tod und von Selbstmord fabuliert. Auch weil die letzte Zeile seines Albums hieß: „Kein Weg zurück/Das weiße Licht kommt näher/Stück für Stück/Ich will mich ergeben/Muss ich denn sterben, um zu leben?“

Dieses Leben führen von der Falko-Stiftung anerkannte Falco-Doubles fort. Es gab 2000 die wirre „F@lco A Cyber Show“ in Wien mit André Eisermann im Geist der New Economy. Ein Rapper namens Fler ehrt Falco als Art deutschen HipHop-Vater und benutzt die alten Hits als Hintergrundmusik. Mit unvermindertem Erfolg läuft das von Burkhard Driest verfasste Musical „Falco Meets Amadeus“. Und zuletzt, zum Mozart-Jahr, erschein eine entsprechende Falco-Sonderbriefmarke der österreichischen Post.

Noch einmal: All das würde Falco selbst entzücken. Wie bereits die Rocker von den Austria-Outsiders, die ihn damals auf dem Zentralfriedhof von Wien zur trügerischen Ruhe betteten. Die tätowierten Herren hatten „Amadeus“ schon als Leibwächter im Videofilm gedient. Vielleicht muss Falco als der glaubwürdigste Mozart-Darsteller der letzten 50 Jahre angesehen werden.

Michael Pilz

Quelle: Welt.de