07.11.2016 – Wiener Online
Der WIENER vor 30 Jahren: Günter Brödl verbinden Kenner der heimischen Popszene mit der von ihm erfundenen und von Willi Resetarits verkörperten Figur des Ostbahn-Kurti. Für den WIENER besuchte er 1986 eine exklusive Listening-Session und nahm sich mit Falco und dessen Freund Billy Filanowski die druckfrische Erstpressung des Falken damals aktueller, neuer Platte “Emotional” zur Brust.
Text: Günter Brödl
Der Falke, sein Freund Billy, Oskar Werner und ich. Wir sind also zu viert. Der Anlaß für dieses Gipfeltreffen, donnerstags pünktlich um 16 Uhr in Falcos Schlafzimmer: Letzte Nacht haben ihm seine holländischen Produzenten, die Gebrüder Bolland, die erste Cassette von “Emotional” nach Wien geschickt, und ich will das Album hören, komplett und jetzt sofort.
Aus zwei Gründen: erstens hat der WIENER übermorgen Redaktionsschluß und den Ehrgeiz, Ihnen ein bißl mehr über Leben und Werk des einzigen lebenden Popstars der Alpenrepublik zu erzählen, als daß ihn seine Freundin … na, Sie wissen schon; und zweitens gibt es exakt fünf Popkarrieren auf dieser Welt, die ich mit an Besessenheit grenzender Neugierde verfolge, ganz einfach weil ich weiß (spüre), daß sie’s wert sind. Es sind das die Karrieren von Bruce Springsteen, Motörhead, Prince, dem Sir Douglas Quintett und – Falco.
„Emotional” ist Falcos Vierte. Und es ist seine erste, sagt er, wo er alles das sagen konnte, was er immer schon sagen wollte.
Aber langsam. Der Falke (laut Lexikon/Klappentext seiener jüngsten Maxi „Falconidae” und „die schönste und edelste Raubvogelgestalt”) hockt in dunkelblauen Boxershorts, weißem Lacoste-Leiberl und Türkensitz auf seinem Jugendstil-Doppelbett und hat alles in Griffweite, was er so zum Leben braucht. Den Terminkalender und zwei Telefone, Marlboro und ein Kännchen Tee, den mäßig monströsen Ghettoblaster und die Remote-Control fürs Video. Oskar Werner ist im Bild. Seit acht Tagen schon, sagt der Falke, verläßt er kaum das Haus, die Wohnung, sein Schlafzimmer und sieht Oskar Werner zu. Wie der Genie & Wahnsinn war. In Filmausschnitten, Theaterszenen und Interviews.
Jetzt läuft Oskar Werner ohne Ton. Billy und ich rücken zwei Stühle ans Fußende des Betts. Billy hat seit vier Tagen nichts Warmes gegessen, er war kreuz und quer in Europa unterwegs, jetzt schlingt er eine Wurstsemmel runter. Er kennt „Emotional” bereits. Er ist schon seit fünf Stunden hier.
Ich hab’ den Falken zwar nicht danach gefragt, aber ich schätze, er hat sein neues Album schon gut ein dutzendmal gehört, immer mit einem Seitenblick auf Oskar Werner, und ist über das Endergebnis mindestens so überrascht wie ich.
Emotional
ist also der Titelsong, wird die nächste Single und ist eine Droge. Bittersüße Soulmusik, die ähnlich süchtig macht wie „Sexual Healing” von Marvin Gaye. Eingebettet in tiefschwarze Engelsstimmen, sagt uns Falco: „Ich hab’ a Herz wie ein Löwe / und es geht so lang zum Messer, bis es sticht”, und: „Ich weiß, daß die Frau, die mich erträgt, noch nicht geboren ist / aber ich bitte dich: Komm zur Welt.” Der Schlüsselsatz, weiß Billy. Und Falco nickt. Und er weiß, was ihm blüht: „Daß nämlich alle schreiben werden, die G’schicht mit der Oiden, die ihn verlassen hat, das war ja nur ein genialer Promotion-Gag. In Wirklichkeit hab’ ich den Song zwei Monate vorher aufgenommen.”
Unter geradezu biblischen Bedingungen: Sieben Tage lang, erzählt der Falke, ist er um 14 Uhr zu den Bollands ins Studio gekommen und hat versucht, bis in die Nacht hinein versucht, „Emotional” zu singen. Vergebens. Und am achten Tag ist es dann passiert, war in vier Minuten erledigt. Mit all der Schwärze, all dem Herzblut, die der Song verlangt.
„Es macht einfach glücklich”, sagt Falco viel später, als wir „Emotional” das zigste Mal hören. Und: „Da steckt wirklich alles drinnen, was ich geben kann.”
Mir fällt diese eine kurze Einstellung in der letzten „Musikszene” ein, wo Falco im Studio „Emotional” singt, und auf dem Notenpult vor ihm liegen neben dem Textblatt zwei Fotografien seiner Tochter Katharina-Bianca.
Kamikaze Cappa
Zugeeignet Ernest André Friedmann, alias Frank Cappa, ungarischer Emigrant, „a großer Puderant” (Falco), Fotograf in Hollywood und – das begründete seinen legendären Ruf – an allen Kriegsschauplätzen dieser Erde. Cappas Lebensziel war es, „to be an unemployed war-reporter”. Und er starb 1954 in Indochina durch eine Tretmine, als er französische Soldaten mit der Kamera durch den Dschungel begleitete. All das weiß ich nicht, weil ich so sensationell allgemeingebildet bin, sondern weil`s Falco in „Kamikaze Cappa” so eindrucksvoll zu erzählen weiß. Das ist tanzbare Zeitgeschichte. Und noch dazu ein gutes Beispiel für die recht unorthodoxe Arbeitsweise des Dreigehirns Bolland / Bolland / Falco: „Kamikaze Cappa” hieß ursprünglich „Kamikaze Driver” und war in der ersten von Ferdi und Rob Bolland in ihrem Studio ausgeheckten Version ein eher schlichter Discofeger zum Thema Autofahren jenseits von Vernunft und Tempolimit. Falco bekam das Tape, inhalierte den ziemlich gnadenlosen Beat und vergaß ganz schnell den Originaltext. In einer Buchhandlung war ihm ein Fotoband mit Arbeiten von Frank Cappa ins Falkenauge gestochen, in der „Zeit” und einem amerikanischen Magazin hatte er über ihn gelesen, und schon ward – vorerst mal nur textlich – aus der PS-Oper der Bollands ein Fotoreporter-Rap. Nächster Arbeitsgang: Bollands denken um, arrangieren um, programmieren ihren Sound-Computer auf Krieg. Und dann, wenn alles fixfertig ist, fliegt der Falke ein und singt.
Freilich ist’s nicht ganz so einfach. Aber fast. Das Teamwork funktioniert so gut, daß die komplette LP in einer Rekordzeit von zwölf Wochen eingespielt war.
Crime Time
Wie der Titel sagt: Falco als Phil Marlowe, als Müller, spätnachts im Büro, allein mit einer halbleeren Flasche Whisky und mit einem ziemlich tödlichen Problem. Die Musik dazu: Jazz, na logisch. Aber, und das ist der Punkt, wenn letzte Saisaon alle von Sade bis Carmel, von Paul Weller bis Sting den coolen Jazz wiederentdeckt haben und den plüschigen Charme der Bar-Combos (wie auch der Falke mit seiner Version von Dylans „It’s all over now, Baby Blue”), dann macht er diese Saison den entscheidenden Schritt: zurück, zu Count Basie, Benny Goodman. Die 40 Mann einer original niederländischen Big Band swingen den original Soundtrack zu Raymond Chandler ’86.
Die ersten drei Songs auf „Emotional”, drei Welten, drei grundverschiedene Rollen, und Falco spielt sie alle perfekt. Warum, will ich wissen, läßt er sich dann in seinem ersten Kinofilm – „Geld oder Leber” – zur schlechten Parodie seiner selbst verkommen? Die Antwort ist der Fluchtversuch in die Vergangenheit. Er habe schon Peinlicheres gemacht. Das Duett mit dem Plappermäulchen Desiree Nosbusch zum Beispiel, das dann letztendlich den Flop von „Junge Römer” auch nicht mehr retten konnte. Und dann die Flucht nach vorn: Im nächsten Jahr wird sich Falco fast ausschließlich der Filmerei widmen. Allerdings ernsthaft. Zwei Angebote reizen ihn ganz besonders: Zum einen will er in einer deutschen Produktion einen ungarischen Schlawiner spielen, der den Nazis mit dem Versprechen, auf alchemistischem Wege aus nichts Gold machen zu können, ein paar Millionen Reichsmark abluchsen konnte; und in einer amerikanischen Großproduktion wird Falco als deutschstämmiger US-Agent bei der Invasion der Scheinebucht aktiv werden. Apropos:
Cowboyz and indianz
„The Russians and the USA are the cowboyz and indianz of today.” Weltpolitik im Falco-Esperanto. Die niderländische Version von indianischem Kriegsgetrommel sorgt für den hypnotisierenden Rhythmus, ein Hopi-Tanz in Superzeitlupe, psychedelisch abgeschmeckt mit verwehten Streichern und Led-Zeppelin-Gitarren. Mein Favorit bisher, mal abgesehen vom herzergreifenden Titelsong. Disco-tauglich Heavy-Mental-Psychedelia oder so. Auf jeden Fall was Neues. Noch nicht getauft. Der Falke ist sichtlich zufrieden, ja, gerät beinahe ins Schwärmen: über seine Bolland-Brothers. Denn da war schon die Angst, nach der roten „Falco III” mit „Rock me, Amadeus”, „Vienna Calling” und „Jeanny” nichts mehr zusetzen zu können, die Angst, daß nach dem weltweiten Erfolg aus Holland kein Rohstoff mehr nach Wien kommt, der den Qualitätskriterien des Falken genügt. „Aber mit den beiden ist es wie mit Abba, mit Björn und Benny, die werden mit jedem Hit besser.”
Jeanny, Part II
Wir sind inzwischen zu sechst. Katharina-Bianca ist da, sie war mit der Oma, Falcos Mutter, spazieren, und jetzt kräht sie drüben in der Küche. Wir spielen drei Männer und ein Baby, als die Oma telefonieren geht. Und der Falke ist strikt dagegen, als Billy meint, wir sollten uns den Rest von „Emotional” im Wohnzimmer über die große Anlage anhören. Die Kleine hat gestern ihre dritte Teilimpfung gehabt und ist heute nicht so gut drauf. Sie wird dann schlafen. Vielleicht. Auf jeden Fall will er keinen Krach im Wohnzimmer. Also zurück an den Ghettoblaster. Da ist er wieder: Falco in seiner letzten großen Rolle, als Anthony Perkins der Hitparade. Der Hans Hölzl im Falco freut sich diebisch, weil die diversen Anstalten öffentlichen Rechts mit „Jeanny, Part II – Coming Home” wiederum keine schlüssigen Beweise dafür kriegen, daß wir’s hier mit einem Lustmord zu tun haben. Statt dessen liefert Falco den ersten Forsetzungshit der Popgeschichte, mit einem Refrain, der aufgeht wie die Urlaubssonne, und mit zwei, drei Codeworten, die klarmachen, daß das Verhältnis zwischen Jeanny und ihrem Erfinder vielleicht doch nicht so kreuzbrav ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Das ist allzu kryptisch? Mehr Fakten? Soviel sei verraten: Jeanny lebt. Sie spricht sogar. Und sie wird die zweite Singleauskopplung aus „Emotional”.
The Star of Moon and Sun
Die zweite Seite des Albums, warnt mich der Falke, beginnt mit dem Schlager für die Kids. „Ein Crossover aus Shakin’ Stevens und Supertramp.” Mag sein. Aber ich werd’ ein Bild nicht los: Ein Rummelplatz mit Sturmboot, Autodrom und Kinderkarussell mitten im Niemandsland, in der Wüste, und aus den alten, scheppernden Lautsprechern des Ringelspiels plärrt dieses Teenager-Drama mit all seinem 50er-Jahre-Pathos hinaus ins Nichts. Mein Bild, meint der Falke, sei ihm zu negativ. Es wäre bloß good time-music, nichts weiter. Nichts Wichtiges.
Les Nouveaux Riches
Die Fortsetzung der „Helden von heute”. Ein paar der damals Neuen sind heute neureich. Der Falco zum Beispiel. Sein Jahreseinkommen, hab ich irgendwo gelesen, wird auf 35 Millionen Schilling geschätzt. Und er hat einen neuen Plattenvertrag mit „Sire Records” in New York unterschrieben, dem Label, das Madonna und die Talking Heads in seinem Stall hat, und dieser Deal soll der höchstdotierte sein, den je ein nicht englischsprachiger Künstler in den USA gekriegt hat. Aber über Geld reden wir nicht. Nicht etwa, weil das für einen so geldigen Menschen Tabu wäre, sondern weil es für Falco nur insofern ein Thema ist, als er absolut nix dagegen hat, viel Geld zu verdienen, das seine Steuerberatung, die von Ex-Finanzminster Hannes Androsch gegründete „Consultatio”, dann in die heimische Wirtschaft investiert. „Ich könnt’ mir einen Bentley leisten oder ein Privatflugzeug”, sagt der Falke, „aber das interessiert mich nicht. Schau’ dich um in der Wohnung. Da gibt’s ein paar Antiquitäten, zwei Fernseher, ein paar Teppiche und eine Anlage. Und unten vor der Tür steht ein Peugeot. Mehr brauch i net.”
„Les Nouveaux Riches” ist Falcos Lieblingslied, nicht nur wegen der schönen Ziehharmonika-Einlagen eines trinkfesten Holländers. Wieder ist es Billy, der sagt, warum. Wegen der Zeile: „Du liebst das Leben / Ich liebe dich.”
Sound of Music
Darf als bekannt vorausgesetzt und daher übersprungen werden. Vielleicht nur soviel: Vom Erfolg der Single in den USA – sie ist erst jetzt in die Charts eingestiegen – wird der weltweite Erscheinungstermin von „Emotional” abhängen. Ein auf den amerikanischen Markt zugeschnittenes Video hat der Falke gestern abgenommen und führt es nun vor: Oskar Werner tritt ab, und eine knallbunte Mischkulanz aus Bladerunner und Almrausch bricht aus. Angeblich ist Wiens Bürgermeister Helmut Zilk in einer Gastrolle mit dabei. Ich hab’ ihn übersehen.
The Kiss of Kathleen Turner
Finale: Eisenbahngeräusche und der „We will rock you / We are the Champions”-Brachialbeat von Queen. Und darüber: Ein Mann sitzt im Abteil, fährt seit „1984″ und fährt nach „Brazil”. Wenn er einschläft, kommt immer wieder der selbe Traum. Vom Telefonat mit Kathleen Turner und von den Kriegsschauplätzen der Weltgeschichte, die er aufzählt, die griechischen Kampfstätten und Stalingrad, Hiroshima und Brockdorf, Wackersdorf. „I’m not talking about the first kiss of my life, Kathleen, I’m talking about our planet.”
Ende. Es dauert lang, bis wir was sagen.
Am Fußboden neben dem Ghettoblaster liegt der Andruck des Plattencovers. Kein brillantin-brutaler Falco. Ein Mann, der durch die Kälte geht. Verletzlich. Verletzt. Aber mit viel Kraft. „Emotional”, hat der Falke vorhin gemeint, sei die erste Platte, wo er all das sagt, was er zu sagen hat.
Mir kommt vor, er wundert sich, wie viel das ist.
Quelle: Wiener Online