Review – Artikel: Der berühmteste Meidlinger Keller und der Egoist

Wien schreit nirgends so laut wie im U4 – Wir haben den Ort besucht, an dem Falco nie begraben wurde

Kein anderer Ort in Wien war jemals so exaltiert wie Falco himself: Der berühmteste Meidlinger Keller und der Egoist. Die beiden waren Sandkastenfreunde.

24 Jänner 2017, 4:41pm

Wer sich noch richtig gut an Falco zu Lebzeiten erinnern kann, muss heute mindestens 25 oder älter sein. Also, für alle anderen zur Gedächtnisauffrischung: Wir reden von dem Typ, der als Erster deutsch rappte. Sein „Rock Me Amadeus“ erreichte 1986 als bis heute einziges deutschsprachiges Lied die Spitze der US-Billboard-Charts. Weltweit über 60 Millionen Platten verkauft. Die Coolness in Person. Glorifiziertes national anthem. Austropopgott. Ein bissl wundert es, dass es nicht in jedem Studio, jedem Proberaum und jeder Musikschule des Landes ein Falco-Winkerl gibt. Im Februar hätte der Gute seinen 60er gefeiert. Weil er aber, wie wir wissen, an einem besseren Ort ist, machen seine Fans das für ihn. Es gibt im Fünften sogar eine Stiege, die nach ihm benannt ist. Aber wenn es einen Platz gibt, an dem Tribute-Nächte zu seinen Ehren passieren müssen, dann hier:

Foto: Pia Gärtner

Ganz Wien in einem Club

Zwischen einem Biosupermarkt und einer Traditionsbäckerei, in der es die angeblich besten Krapfen der Stadt gibt, in der Schönbrunnerstraße, ist das Portal zum „schwarzen Uterus der Wiener Szene“ – zum U4. Einst ein fruchtbarer Underground, wo Generationen kreativen Schaffens aller möglicher Sparten entstanden. Falcos Weltkarriere wuchs hier heran und über dem Eingang hängt sein Porträt. Stellt man sich heute an, tut man das aus guten Gründen unter seinen Blicken. In den frühen 80ern wurden Club und Musiker parallel unsterblich und schafften es, auch international bekannt zu werden. Er drehte hier (nicht nur) Videos, war genau wie viele andere Künstler und Persönlichkeiten Stammgast. Prince gab hier nach seinem Konzert in der Stadthalle eine Aftershow im kleinsten Kreis. Nirvana war da. Und jeder, der sonst noch wichtig war. Viele spielten hier ihre ersten Konzerte. Was normalerweise den sicheren Untergang jedes Clubs mit Anspruch auf Nischenbedienung bedeutet, es allen recht machen zu wollen, war in diesem Fall der richtige Weg. Jeder ist seit der Eröffnung vor 38 Jahren willkommen, alles geht. Er konnte da unten Hölzl sein, aber auch Falco. Come as you are – das galt für alle.

FALCO BEIM FEIERN IM U4 MIT KELLNERN UND FREUNDEN.
Foto: Conny de Beauclair

BARBARA STÖCKLS ERSTES INTERVIEW, ZIEMLICH HIP, IM U4.
Foto: Conny de Beauclair

„Die Leute waren viel zu cool, um ihn um ein Autogramm zu fragen oder Ähnliches. Er fühlte sich wohl, weil er er selbst sein konnte, was auch immer das gerade hieß“, sagt Conny de Beauclair, einer, der alles weiß. Klar, weil er seit Ewigkeiten hier arbeitet. De Beauclair ist ziemlich sicher Österreichs beliebtester Türsteher und außerdem Haus- und Hof-Fotograf der Diskothek.

„Hätt ich gewusst, dass Falco einmal nimma ist, hätt ich ihn öfter geknipst. Aber ich hab als Freund respektiert, dass er auch mal in Ruhe gelassen werden wollte.“

Zum 30-Jahr-Jubiläum veröffentlichte er einen monumentalen Bildband mit seinen wichtigsten Aufnahmen aus dem Untergrund und hat heute selbst schon Legendenstatus.

„Hätt ich gewusst, dass Falco einmal nimma ist, hätt ich ihn öfter geknipst. Aber ich hab als Freund respektiert, dass er auch mal in Ruhe gelassen werden wollte.“ Zwischen ihm und dem Künstler entwickelte sich eine symbiotische Verbindung. Als Falco den „Kommissar“ und „Helden von Heute“ aufgenommen hatte, ging er mit seinem Walkman gleich zu Conny und holte sein Feedback ein. Dieser begleitete ihn außerdem immer wieder als Bodyguard und auch privat trafen sie sich, lernten sogar die Familien kennen. Nach seinem Tod begleite Conny Falcos Mutter immer wieder zu dessen Grab, und weiß heute sicher die relativ besten Storys zu erzählen.

CONNY DE BEAUCLAIR MIT FALCO, FREUNDE UND KOLLEGEN THOMAS RABITSCH UND THOMAS LANG

Weißer Sand, weiß wie Schnee

Zuerst als U-Bahn-Station geplant, dann als Stadtheuriger, der dann doch nicht eröffnete, wurde aus den Räumen zuerst die Kommerzdisco „Copacabana“. Hier hatte Falco, der damals noch Hansi Hölzl hieß, seinen ersten Auftritt als Bassist mit der Band Spinning Wheel. Das war 1979. (Verwunderlich aber Fakt: Als Falco ist er de facto nie im U4 aufgetreten !) Mit der Copacabana war’s aber bald vorbei. Wenige Monate danach wurde von einer motivierten Gruppe Szenemenschen, die vom Eigentümer engagiert wurde, das Ruder herum zu reißen, die Diskothek U4 eröffnet: Etwas Großes wurde geboren. Man hörte New Wave, Punk, Bowie, nahm Koks und machte progressive Dinge, wie sich zum Fortgehen einfach mal ein Stück Fleisch umzuhängen. Es gab Modeevents, die sogenannte U-Mode – Vorläufer von Feschmarkt und dergleichen. Man veranstaltete das erste Clubbing Österreichs, „Flamingo“, und 1989 begann man mit der „Heaven Gay Night“. Das alles muss für die Wiener damals sehr fresh gewesen sein.

Foto: Pia Gärtner

Der Strizzi Hölzl spielte in der Anfangsphase des Lokals Bass bei Drahdiwaberl und begann irgendwann, selbst zu singen. Falco war da, und mit ihm „Ganz Wien„: Sein erster Song, Hommage an die U4-Exzesse und Hymne an den Eskapismus. Hinter den Kulissen ging es ziemlich ab, vor allem im sogenannten „U5“. In einem der Lagerräume hatte sich eine kleine Parallelrealität zum großen Lokal etabliert, man war ganz unter- und außer sich, Jamsessions und arge Dinge. Heute befindet sich an dieser Stelle der Backstageraum. Die weitläufigen Gänge dort gleichen heute einem Musikmuseum, voller Referenzen und Bilder von früher. Das Lokal wurde vor der Wiedereröffnung 2006 umgebaut und neu ausgestattet.

Foto: Pia Gärtner

Foto: Pia Gärtner

Im U4 geigen immer noch die Goldfisch‘

In den 90ern war die goldene Ära bereits am auslaufen. Was dann ’98 passierte, ist bekannt. Falco war an seinem Zweitwohnsitz in der Dominikanischen Republik bei einem Unfall gestorben (insert conspiracy theory here). Am Abend nach der Beerdigung gab es nur einen place to be: Im U4, wo sonst, fand die erste Falco-Gedenknacht statt. Das Konzept der Spontanaktion wurde dann als jährlicher Fixpunkt im Februar, zu seinem Geburtstag, beibehalten.

„Es war an diesem Abend so gesteckt voll, alle sind gekommen, und es wurde die ganze Nacht nur Falcos Musik gespielt. Dazu haben alle getanzt, gelacht und geweint. Das war irre“, erzählt Conny.

Ehemalige Bandkollegen und Freunde taten sich dann unter dem Namen „Die Goldfisch“ in den Nullerjahren (darf man jetzt schon sagen) zusammen. Was er mit der Zeile aus Ganz Wien, „Im U4 geigen die Goldfisch“ gemeint hat?

„Dass es sich abspielt, dass die Post abgeht – dass die Goldfische geigen halt, das war seine Sprache“. Weil heuer ein besonderes Jubiläum ist, wird die Band an drei Abenden auftreten. An den zwei Tagen vorm eigentlichen Geburtstag am 19. Februar (Sein Sternzeichen ist Wassermann: Die sind Individualisten. Außerdem lieben sie ihre Freiheit und haben oftmals eine exzentrische Art), sogar vor dem normalen Clubbetrieb und werden seinen Geist heraufbeschwören. Der Reinerlös der Abende wird dann an die Drogenprävention gespendet. Wie sich viele alte Freunde hier liebevoll um den Erhalt seines Erbes kümmern und die Erinnerungen frisch halten, ist wirklich sweet.

Foto: Pia Gärtner

Junge Römer

Heute ist der Keller nicht mehr ganz so punk. Wöchentlich stattfindende Formate für spezielle Zielgruppen wie „Wiener Linie“, „Addicted to Rock“ oder der 90s Club „Heartbreak Hotel“ sind nett, aber eher so soft-alternativ. Denkt man ans U4, denkt man an Studentenpartys, weniger an Koks, kann sich keiner mehr leisten. Künstlerszene? Auch nicht so. Die Zeiten haben sich deutlich geändert. Vielleicht wieder mehr Konzerte, frischeres Booking? Exzesse und Hedonismus gibt es natürlich trotzdem noch, und gute Geschichten, wie die, als im Sommer 2016 plötzlich das Wasser auf der Tanzfläche stand, weil es so stark geregnet hatte. Die Gäste tanzten barfuß, bis evakuiert wurde.

Foto: Pia Gärtner

Und wenn man genau hinhört, findet man Falcos Echo in der zeitgenössischen österreichischen Musiklandschaft an allen Ecken. Nicht nur Maurice Ernsts Handbewegungen zeugen von gründlicher Auseinandersetzung mit dem Großen, auch in Bilderbuchs Texten wird ihm da und dort ein Denkmal gesetzt. Nazar, Bunny Lake und Peter Kruder haben seine Songs gecovert und remixt. Skero tritt mit „Die Goldfisch“ auf. Und Sony bringt bald ein neues Tribute-Album raus. Das Phänomen Falco lebt weiter, egal wie.

Und was das U4 betrifft – es hätte das kleine Berghain von Österreich werden können. Vielleicht muss es auch erst mal (ganz) sterben, um wieder aufzuleben. Als geschichtsträchtige Location, die sich seit 1980 hält, dem Clubsterben trotzt und von einem großartigen Team geführt wird, möchte ich es aber nicht missen. Because es hätt‘ schon Flair.

„Und wer sich morgen noch erinnert, der war nicht dabei. Nur wir sagen’s immer laut, doch es ist wirklich nichts vorbei.“ – Falco

Foto: Conny de Beauclair

 

Quelle: Artikel von Pia Gärtner  /  vice.com