Aus dem Buch ‘Angriff auf’s Schlaraffenland – 20 Jahre deutsch – sprachige Popmusik’ von A. Koch
Das andere Problem war bisher die fehlende Business-Mentalität der westdeutschen Popmusiker und ihres Managments. Mit Jim Rakete und seiner Fabrik gehörte nun auch dieses Defizit der Vergangenheit an. Während im Independent-Bereich nicht das kommerzielle Potential, sondern Exotik als Bedingung für die Anerkennung in Übersee galten, musste man in der oberen Gehaltsklasse das Spiel des Pop-Mainstreams mitspielen.
Auch Falco mischte in diesem Spiel mit. Noch vor Nena hatte er einen Instant-Hit in den USA gehabt und anders als Nena machte er was daraus. Seine Lehrjahre absolvierte er als Tanzmucker in einer Showband und bei dem Rocktheater Hallucination Company. Während er noch bei Rockkabarett Drahdiwaberl als Gitarrist spielte, hatte er die Single *Der Kommissar* veröffentlicht, die 1982 auf Anhieb in Österreich und Westdeutschland Nummer Eins wurde.
Auf Platz fünf der US-Charts kam sie im gleichen Jahr, aber nur in der englischsprachigen Version einer anderen Band, denn Ausnahmen wie Nena bestätigen die Regel, nach der die englische Sprache wegen der sprachfaulen Amerikaner nach wie vor Bedingung Nr.1 für internationalen Hitparadenerfolg ist.
Nichtsdestoweniger peilte Falco als Solist eine internationale Karriere an. Nach dem ersten warmen Geldregen für *Kommissar* und der erfolgreichen LP *Einzelhaft* 1982 herrschte erst einmal Funkstille, doch mit *Rock me Amadeus* wiederholte er 1985/86 seinen *Kommissar*-Erfolg in Österreich, Westdeutschland und diesmal stürmte er in Grossbritannien und in den USA höchstpersönlich auf Platz 1 der Single-Charts und Platz 3 der LP-Charts.
Falco war ein Musiker, der seine Lektion gelernt hatte. Die Lektion hiess: wie werde ich Popstar und was brauche ich dazu? Die nette äussere Schale, die kess-charmante (Ober-) Lippe eines frühreifen Penälers, die nötige Cuzpe, das latent arrogante Selbstbewusstsein des Wieners und die Weltgewandheit des jet-setenden Lebemanns: von all dem hatte er reichlich und er wusste es beispielsweise in seinem *Rock me Amadeus*-Video auch überzeugend zu vermitteln.
Musikalisch rüstete er auf. Er kultivierte die melodiös-funkige Popmusik der *Einzelhaft*-LP zum internationalen Standards entsprechenden Falco-Sound, gespielt auf Drum- und Percussioncomputern, Sample-Keyboards, digitalen Synthesizern. Ein typisches, zum Erfolg verdammtes Produkt aus dem computermischpult erfahrener Pop-Produzenten.
So wie sich seine Produzenten Rob und Ferdi Bolland musikalisch überall bedienten, so machte Falco auch gesangliche Anleihen. Er kopierte hemmungslos den 1981/82 aktuellen Rapgesang und schaffte es in besseren Momenten, ihn elegant phraisert und aller Ghettokanten entkleidet, mit leichter österreichischer Dialekteinfärbung fein abgeschmeckt darzureichen.
Im Wechsel mit einem unglaublich manirierten Melodiegesang in den Refrains kreirte er so etwas wie einen eigenen Gesangsstil, eine Mischung zwischen dem zynischen, späten David Bowie, dem Schmäh eines Andre Heller und der Leichtigkeit eines Marvin Gaye.
Als weitere Sprosse auf der Erfolgsleiter dienten die kleine Skandälchen und dekadenten Provokationen, mit denen man Aufmerksamkeit erregt. Anders als die Unschuld aus Hagen verhehlte der nur drei Jahre ältere Falco nicht, das er schon einiges gesehen und erlebt hatte.
*Wir treffen Jill und Joe und dessen Bruder Hip/ und auch den Rest der coolen Gang/ sie rappen hin, sie rappen her/ dazwischen kratzens ab die Wänd/ dieser Fall ist klar lieber Herr Kommissar/ auch wenn sie andrer Meinung sind/ den Schnee auf dem wir alle talwärts fahrn/ kennt heute jedes Kind, jetzt das Kinderlied:/ drah di net um – oh,oh,oh/ wenn er Dich anspricht und Du weisst warum/ sag ihm, dein Lebn bringt Dich um.* (*Kommissar*)
Aber diese kleinen Indiskretionen waren nur halb so wild und dienten letztendlich nur seiner gesellschaftlichen Standortbestimmung. Während er 1984 mit der LP *Junge Römer* einen Flop erlebte, hypte Paul Morley mit diversen Skandalen, hart erkämpften Zensurmassnahmen bei der BBC, kontorversen slogans, Plakaten und Anzeigen Frankie goes to Hollywood to the top of the world.
Falco kapierte schnell. Der Versuch mit *Jeanny* und Falco als Sittlichlkeitsverbrecher war ein neuer Anlauf; bei weiten nicht so elegant und kreativ wie DAFs *Mussolini*, aber ebenso geeignet, um für ein bisschen Gesprächsstoff zu sorgen:
*Jeanny, komm, come on/ steh auf bitte/ Du wirst ganz nass/ schon spät komm/ wir müssen weg hier/ raus aus dem wald/ verstehst du nicht?/ Wo ist Dein Schuh?/ Du hast ihn verlorn/ als ich Dir den Weg zeigen musste/ wer hat verlorn?/ Du Dich?/ Ich mich?/ Oder wir uns?* (*Jeanny*)
Der dem Text nachfolgende Newsflash mit einer bekannten Radiosprecherstimme über die Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens an Jeanny löste entsprechende Vermutungen über Vergewaltigung und Mord aus. Nahezu alle westdeutschen Rundfunksender liessen es sich nicht nehmen, *Jeanny* zu boykottieren, worauf *Jeanny* zur Nummer 1 in Österreich und Westdeutschland avancierte.
Was früher noch zum Totschweigen kritischer Bands führte, konnten Falco und seine Plattenfirma nur mitleidig belächeln. Die Promotion-Kampagne lieg wie geschmiert, der Meinungsmacher Stern und selbst die FAZ griffen die Story auf, alle wurden neugierig, kauften sich die Platte und die alte Regel ‘any promotion is good promotion’, erfuhr mal wieder ihre Bestätigung.
Eine weitere, wichtige Voraussetzung für eine internationale Karriere ist, dass man den eingebildeten, sprachfaulen Amerikanern entgegenkommt und Englisch singt. Da Falcos wichtigster und vorerst sicherster Plattenmarkt immer noch Westdeutschland war, wählte er einen geschickten Mittelweg. Er kombinierte die exotische deutsche Sprache mit Namen, Titeln, Begriffen, die jedes Collegegirl im mittleren Westen kennt und schob englisch gesungene Textteile und Refrains ein:
*Und plötzlich heisst Mariy Marilyn / und Eva heisst Yvonne/ ein junger Bogart hängt Dir an den Lippen, Kleines/ und sagt: komm!/ Die Lockenpracht wird abgemacht/ die Tänzer sind gestoppt/ es ist 4 Uhr 45/ nun wird Position geprobt/ womit spielen kleine Mädchen heute/ hier und dort und da/ ob in Tuscon, Arizona, Toronto, Canada?/ Wien, nur Wien/ Du kennst mich up, du kennst mich down/ Ohoho, operator (so alone am I)/ Hello Vienna calling/ Two, one, zero, der Alarm ist rot.* (*Vienna Calling*)
Falco hatte ein gewisses Talent, seine Textcreationen so zu singen, dass es gar nicht mehr auffiel, wo das Deutsche zu Ende war und wo das Englisch anfing:
*Hey das waren Zeiten, when Hardrock was Hardrock/ Musik was as tough as a nail/ und unsre Jungs die warn nicht lazy, they got out/ and made it crazy, but no one left to tell the jail/ der Bube fragt den König/ hey babe do you wanna dance?/ Sie machen History, denn sie sind scharf wie nie/ the first preelected Rock ‘n’ Roll band/ the sound of musik/ do the bang-bang-boogie, say up jump the boogie…* (*The sound of music*)
Noch niemand hatte vor Falco so viele Worte gemacht. Nicht das er viel zu sagen gehabt hätte. Aber mit seinem Wortgeklingel verbarg er blendend, dass er nichts zu sagen hatte, ausser das er der Grösste war. Dass deswegen der andere Wiener Musiker, Mozart, dran glauben musste, war unvermeidlich.
Wenn Falco sang:
*Er war Superstar/ er war populär/ er war so exaltiert/ because er hatte Flair/ er war ein Virtuose/ war ein Rockidol/ und alles rief/ come on and rock me Amadeus…* (*Rock me Amadeus*)
dann meinte er natürlich sich selbst und hatte noch nicht mal so unrecht.
Zwar war Falco nicht der Grösste. Da jedoch niemand antrat, ihm den Rang streitig zu machen, konnte er es zumindest ungestraft von sich behaupten. Aber all seine Bemühungen als Texter, Performer und Weltstar von eigener Gnade hätten wohl nicht ausgereicht, wenn er nicht auch das notwendige, gut geölte und international orientierte Showbiz-Managment im Rücken gehabt hätte, das in der Lage war, ihn mit allen Werbungs-, Marketing- und sonstigent Methoden in Übersee ins Geschäft zu bringen.
Die Erfahrungen mit Nena und Falco bewiese, dass, wenn alle Faktoren zusammenkamen, deutsche Popmusik eine internationale Chance hatte. Das bei zukünftigen westdeutschen Popexporten deutsche Texte ein Rolle spielen könnten, dürfte allerdings trotz Nenas *99 Luftballons* und Falcos gemischtsprachigem Warenladem auf dem englischsprachigen Weltmarkt nach wie vor eher die Ausnahme bleiben.
Auszug aus dem Buch: Angriff auf’s Schlaraffenland – 20 Jahre deutsch – sprachige Popmusik von Albrecht Koch
erschienen im Ullstein-Verlag
ISB N 3 548 36540 X