Buchauszug: Hip-Hop aus Österreich – Lokale Aspekte einer globalen Kultur

Frederik Dörfler-Trummer (2020):
HipHop aus Österreich. Lokale Aspekte einer globalen Kultur.
Bielefeld: Transcript-Verlag:

 

Buchauszug:

3.3 Ursprünge der österreichischen HipHop-Musik – Phase 1 (1981-1993)
3.3.1 Falco und die Erste Allgemeine Verunsicherung (E.A.V.)

Wir treffen Jill und Joe und dessen Bruder Hipp
Und auch den Rest der coolen Gang
Sie rappen hin, sie rappen her
Dazwischen kratzen’s ab die Wänd’
(Falco – »Der Kommissar« 1981)

Meine Geschichtsschreibung von HipHop-Musik aus Österreich beginnt mit dem bislang größten Popstar Österreichs, Falco, und seinem 1981 als Single veröffentlichten (und eigentlich als B-Seite geplanten) Song »Der Kommissar«. *) Dieser Beginn ist jedoch nicht ganz unumstritten, wie etwa die Gruppe Texta im Booklet ihres 2016 erschienenen (rein auf Samples österreichischer Musik aufbauenden) Albums »Nichts dagegen, aber« klarmachen:
Und nein, Falco war sicher nicht der erste Rapper in Österreich, da war selbst der Klaus Eberhartinger [Sänger der Gruppe E.A.V.; Anm. d. Verf.] näher am Rap als der Falke […]. Der Hansi Hölzel war, wenn schon ein Funkmusiker und Sprechsänger, mehr Rick James (und das nicht nur beim Koksgebrauch) als Slick Rick. Hört euch doch nur mal »Der Kommissar« und »Super Freak« hintereinander an. Für alle, die das noch immer verklären wollen … (Booklet Texta 2016, S. 1)

*) Andrea Dusl veröffentlichte 2009 in der Zeitschrift Falter unter ihrer Kolumne »Fragen Sie Frau Andrea« eine interessante Textanalyse zu dem von mir zitierten Abschnitt und veröffentlichte diesen auf ihrem Blog, vgl. Dusl 2009.

 

HipHop aus Österreich

Ähnliche Worte zu Falco finden auch die Autoren von »35 Jahre HipHop in Deutschland« (2015), Sascha Verlan und Hannes Loh:

Auch wenn viele HipHops immer wieder behaupten, Falco sei der erste deutschsprachige Rapper gewesen: Die Experimente Anfang der Achtzigerjahre blieben ohne Wirkung. Sonst könnte man mit gleichem Recht behaupten, ein mittelalterlicher Mönch habe den Rap nach Deutschland gebracht, denn Sprechgesang an sich ist schließlich eine jahrhundertalte Ausdrucksform. (Verlan und Loh 2015, S. 287)

Ich würde Falco ebenfalls nicht als Teil der HipHop-Kultur und daher nicht als HipHopRapper bezeichnen. Es wäre meiner Meinung nach aber auch falsch, ihn nur als Funkmusiker à la Rick James zu verorten. Falco selbst wies (in dem mittlerweile legendären) Interview im Rahmen der HipHop-Sendung Tribe Vibes & Dope Beats auf FM4 von 1996 darauf hin, dass er selbst auch nicht vorhatte, »HipHop zu machen«, aber sein Sprechgesang dennoch direkt von den HipHop-RapperInnen herrührte:

Ich hab den »Kommissar« aufgenommen, ned weil ich HipHop hab machen wollen, sondern weil ich mir gedacht hab, es ist irgendwie geil, deutsche Sprache zu rappen.
Das hat noch keiner gemacht, und das kann ich, also als Rhythmiker, Bassist und Schlagzeuger und analog gelernter Musiker kann ich das irgendwie. Und das ist so reingegangen, dass ich mir gedacht habe: Aber Moment! Aber mit der politischen Aussage des HipHop in dem Sinn habe ich genauso wenig zu tun gehabt wie mit der Kunstfigur, die mir immer angedichtet worden ist. Weil ich hab nichts anderes gemacht, als mir die Haare unter die Wasserleitung gehalten und mir den einzigen Anzug angezogen, den ich von der Hallucination Company gehabt hab. Wenn du so willst, hat HipHop für mich schon seinen Ursprung darin, dass ich bei Anarcho-Bands gespielt hab und aus dem ganz linken Eck komme und den Fensterkitt, wenn du es so haben willst, g’fressn hab in der 25-m²-Wohnung. Das war für mich mein HipHop.
(Falco zitiert nach dem Audio FM4 2018, TC 09:54)

Wenngleich Falco also kein HipHop-Rapper und kein Teil der HipHop-Kultur war, galt er dennoch als der erste österreichische Musiker, der von HipHop beeinflusste Musik produzierte und Elemente dieser damals noch sehr neuartigen Musikrichtung in seine eigenen Songs einfließen ließ. Wie Peter Kruder feststellt, hatte Falco die erste HipHopWelle in den USA genau studiert und nicht einfach kopiert, sondern erfolgreich auf sein eigenes Lebensumfeld umgemünzt. Ein Teil seines Erfolges war seines Erachtens den von Falco angewandten Glokalisierungstechniken geschuldet.

Was ihn auszeichnete: Er übertrug Elemente aus der großen Popwelt auf seine eigene. Aus dem New Yorker Pimp machte er den Wiener Strizzi. Das machte er so clever und witzig, dass sich alle darauf einigen konnten. Die Wissenden, weil sie seine Referenzen verstanden, genauso wie die Unwissenden, weil er den Hip-Hop erstmals in ihre Lebenswelt holte. (Peter Kruder zitiert nach redbull.com 2016)


FALCO.NET
LINK:

Zwischen Depression und Größenwahn
Peter Kruder über Falcos Karriere – und warum ihm dieser riet, Österreich zu verlassen.


Dadurch, dass er einer der ersten Musiker war, der den von Rappern abgeleiteten Sprechgesang zu einem Stilmittel machte, wurde er wiederum von wichtigen Teilen der HipHop-Bewegung rezipiert und immer wieder eingeladen, sich aktiv daran zu beteiligen. So machte einer der HipHop-Gründungsväter, Afrika Bambaataa, Falcos Song »Der Kommissar« durch Einbindung in sein DJ-Set zu einem kleinen Hit in New York *).

Es gab in weiterer Folge sogar ein (auf Film verewigtes) Treffen der beiden und Gespräche über eine Zusammenarbeit – aus der jedoch nie etwas wurde **). Falco wurde überdies (eher zufällig) für die wichtigste US-amerikanische HipHop-Sendung der 1980er und 1990er Jahre, YO! MTV Raps, interviewt (vgl. Trischler 2017a). Auch Teile der österreichischen (sowie deutschen HipHop-Szene ***) ) setzten Falco immer wieder in den HipHop-Kontext. Neben dem zitierten Interview auf FM4s Tribe Vibes & Dope Beats ließ man ihn Mitte der 1980er Jahre im Rahmen der Ö3 Musicbox eine eingedeutschte Version von Grandmaster Flashs Hit »The Message« (1982) einrappen/einsprechen (vgl. Trischler 2001). Zudem wurde er (neben Markus Spiegel und Rudi Dolezal) als Juror für den ersten HipHop »Freestyle-Contest« (1991) Österreichs eingeladen, der ebenfalls von der Radiosendung Tribe Vibes durchgeführt wurde (vgl. Braula 2011c). Obwohl Falco
bei seinem Besuch der Sendung Tribe Vibes dem damals dafür Hauptverantwortlichen, Werner Geier, erklärte, dass er sich nicht als Teil der HipHop-Kultur sah, stellte dieser
in einem Nachruf nach Falcos Tod im Jahr 1998 nochmals klar, dass er ihn dennoch sehr wohl in der HipHop-Kultur verorte:

Falco war, was er immer abgestritten hat, Hip Hop im original amerikanischen Sinn. In Europa denkt man ja ganz sozialromantisch, es ginge bei dieser Rap[-]Geschichte um ein Aufbegehren der Geknechteten und Entrechteten, die Vorbereitung einer schwarzen Revolution. Bloß: Wenn es bei Hip Hop um eine Revolution geht, dann um die, genauso konsumieren [zu] können wie all die weißen Arschlöcher, maßlos, ohne Ziel und Sinn. Deswegen war Falco Hip Hop.
(Geier 2001)

Auch die von FM4 im Rahmen ihres »HipHop-Tages« am 21.07.2016 gestellte Frage, ob Falco bzw. speziell dessen Song »Der Kommissar« als HipHop anzusehen ist, ergab keine eindeutige Antwort und zeigt, dass sich auch heute noch die Geister in dieser Frage scheiden:

Falco – Der Kommissar

32,7 % – Ja, das ist Hip Hop!
32,7 % – Das ist schon ein bisschen Hip Hop
34,6 % – Enthält höchstens Spuren von Hip Hop (o. A. 2016)

*) Auch bei seinem Auftritt 2008 im Wiener WUK, den ich miterleben durfte, legte Afrika Bambaataa (neben Klassikern der frühen Tage der HipHop-Kultur) den »Kommissar« auf.
**) Ein Ausschnitt der ZDF-Neo-Doku in der Falco und Afrika Bambaataa zu sehen sind, ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=w2C1vVR3d74 [abgerufen am 01.06.2020].

***) Neben einzelnen Songs, in denen Falco gesampelt (vgl. Fettes Brot – »Tage wie diese« 2005) oder gecovert (vgl. Fler – »NDW 2005« 2005) wurde, wurde 2018 eine compilation unter dem Namen »Gestorben, um zu leben« veröffentlicht, für die (mit Ausnahme von Nazar als einzigem österreichischen Beitrag) deutsche Rapper eigene Songs auf Basis von Falco-Stücken produzierten.
40 HipHop aus Österreich

 

Abschließend bleibt zu erwähnen, dass Falco auch meiner Meinung nach kein »HipHopRapper« war und sich nur am Rande mit dieser Kultur auseinandersetzte bzw. sich nur das herausnahm, was ihn musikalisch ansprach. Zugleich ist er Teil der Geschichte der HipHop-Kultur. Speziell hinsichtlich der österreichischen HipHop-Szene spielt er immer wieder eine wichtige Rolle, da er von dieser stets rezipiert und durch einzelne AkteurInnen, wenn nicht als Teil, dann zumindest als einer ihrer Vorläufer gesehen wurde. Auch heute noch findet sich Falco immer wieder im HipHop-Kontext wieder.

Ein Beispiel dafür wäre etwa, wenn einer der erfolgreichsten heimischen Rapper der 2010er Jahre, Yung Hurn, sich den Beinamen Falco Süßgott gibt oder für Red Bull auf »den Spuren Falcos« wandelt (Ehlert 2016b). Anschließend an die anfangs zitierte Aussage von Texta kann durchaus gesagt werden, dass Falco mehr als Funk-Musiker im Sinne von Rick James zu sehen ist, die ja auch stets in die HipHop-Kultur eingebunden wurden.

Dennoch bleibt die Tatsache, dass seine Musik nicht nur von Funk, sondern eben auch direkt von HipHop beeinflusst wurde. Es mögen andere Personen erst Jahre später den Grundstein für eine österreichische HipHop-Szene gelegt haben, dennoch wurde Falco (ob gewollt oder nicht) durch die direkte Bezugnahme auf HipHop-Musik in seinem eigenen Schaffen zu einem Teil der Geschichte dieses Musikstils.

Seit ein paar Jahren gibt es neue Popstars aus Österreich. Wanda und Bilderbuch, RAF Camora und Yung Hurn. Sie könnten kaum unterschiedlicher sein, aber eines ist ihnen gemein: Sie alle berufen sich auf die eine oder andere Weise auf Falco. Ihm ist es als erste[n] gelungen, die engen Grenzen seiner Heimat zu überschreiten. Weil er seine Herkunft zur Tugend erhob, statt sie zu verleugnen. Soll noch einer sagen, das hätte nichts mit HipHop zu tun! (Reitsamer, R. 2018b)


Über den Autor:

Frederik Dörfler-Trummer (Dr. phil.), geb. 1984, ist freier Musikwissenschaftler und forscht zu HipHop-Musik und artverwandten Popularmusikstilen. Er promovierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seine Forschungen wurden durch zwei Stipendien der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie durch den österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit gibt er HipHop-Workshops an Schulen und ist als DJ und Produzent tätig.

SIEHE AUCH:

LINK:

Der Standard – Blog „Falco, EAV und Co: Die Anfänge des Austro-Rap“

von Frederik Dörfler-Trummer.

 


 

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Erschienen 2021 im transcript Verlag, Bielefeld
© Frederik Dörfler-Trummer
Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld, unter Verwendung eines Plattencovers
von Oliver Kartak
Lektorat: Petra Hannert, Jan Wenke
Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar
Print-ISBN 978-3-8376-5556-8
PDF-ISBN 978-3-8394-5556-2
https://doi.org/10.14361/9783839455562