„Noch immer crisp und toll“
Bork: Ich hatte auch schon vor Falco mit Künstlern zu tun. Die haben mitunter ein anderes Zeitgefühl und sind nicht ganz so diszipliniert wie ein Finanzbeamter. Unvorhergesehene Ereignisse sind in diesem Geschäft ohnehin an der Tagesordnung. Was die Zuverlässigkeit anbelangt, war Falco guter Durchschnitt. Wir mussten in all den Jahren nur ein einziges Konzert absagen, und das auch nur, weil er tatsächlich krank war.
ORF.at: 1987 stand Falco vor dem großen Durchbruch in den USA, eine Tour war gebucht, kam aber nie zustande. Was war passiert?
Bork: Der Plan war damals, nach der Japan-Tournee in den USA auf Tour zu gehen. Wir hatten aber gerade die Plattenfirma gewechselt, und die neue Firma meinte: Gebt uns noch etwas mehr Zeit, für uns kommt die Tour zu schnell. Daher sind wir nach den Shows in Tokio nicht nach Amerika geflogen, sondern zurück nach Europa.
ORF.at: Was erscheint heute an Falco interessant, was damals vielleicht gar nicht so wichtig war?
Bork: Dass er heute immer wieder neu entdeckt wird, hat sicherlich hauptsächlich mit seiner Musik zu tun, die weiterhin relativ frisch und unverbraucht klingt. Das ist sicher auch eine Folge der teuren Produktionen von damals – das klingt noch immer crisp und toll. Zudem war er ja eine charismatische Persönlichkeit. Das ganze Outfit, der Look, die gegelten Haare, die Sonnenbrille – das ist heute Durchschnitt. Damals war das neu und wirkt offensichtlich bis heute weiter.
ORF.at: Was ist denn Ihres Wissens die genaue Beziehung zwischen Falcos „Kommissar“ und dem Rick-James-Hit „Super Freak“? Beide klingen bekanntermaßen ziemlich ähnlich. Wer hat da wen beeinflusst?
Bork: Ganz genau könnte das Robert Ponger erklären, der die Musik komponiert und produziert hat. Da sind einige Riffs und Licks enthalten, die sehr, sehr, sehr an Rick James erinnern. Man könnte großzügig sagen: Das ist Zufall. Ein strengerer Zeitgenosse würde sagen, die haben ein bisschen abgeschrieben. Die Ähnlichkeiten sind wirklich hörbar. Das war auch der Grund, „Der Kommissar“ für die B-Seite zu nehmen, dort würde es nicht so auffallen. Erst später, nach langen Diskussionen, haben wir gesagt, okay, wir machen „Der Kommissar“ als A-Seite.
ORF.at: Interessant ist ja, dass Rick James keine Sekunde zögerte, MC Hammer zu klagen wegen Ähnlichkeiten zwischen „Super Freak“ und „U Can’t Touch This“. Bei Falco hat er das offensichtlich durchgehen lassen.
Bork: Nein, die haben das nicht durchgehen lassen, sondern haben die Sache schon genau geprüft. Aber das ist ja auch eine Ermessensfrage, und wir waren vielleicht noch irgendwie im Limit. Es gibt da klare juristische Definitionen. Das Werk von Ponger war wohl noch im Dunstkreis der Möglichkeiten, sodass wir an einer Klage vorbeigekommen sind. Seien Sie sicher: Wenn sie die Chance gehabt hätten, die hätten bis zum Jüngsten Gericht geklagt.
ORF.at: Es ist auch zu lesen, dass Ponger „Der Kommissar“ ursprünglich für Reinhold Bilgeri komponiert und Falco dann einen Text geliefert habe.
Bork: Ich glaube, das ist gut erfunden. Der Ausgangspunkt war, dass Falco und Ponger das Stück gemeinsam entwickelt haben. Robert Ponger hat ein Playback gemacht – die Grundskizze des Songs – und hat draufgespielt, wo der Hans hätte singen können. Der Hans hat dann versucht, einen Text zu machen. Die Bilgeri-Geschichte halte ich für eine nette Fabel, das ist Quatsch.
ORF.at: In vielen Interviews der 1990er Jahre macht Falco weder den glücklichsten Eindruck noch die glücklichste Figur. Oft ging es dabei um die Beziehung zwischen Kunstfigur und Privatmensch. Wie war das tatsächlich, war Falco Hans Hölzels zweite Haut, seine Schutzschicht?
Bork: Ich halte das nicht für so komplex. Intern hatten wir oft die Floskel „Hans Hölzel spielt Falco“ – das war ein stehender Spruch. Bei vielen TV-Talkshows ist sicher versäumt worden, ihn zu schützen, ihm zu sagen: „Geh da nicht hin.“ Die NDR-Talkshow wird heute noch zitiert, wo Falco stoisch wiederholt hat: „Der Haider ist ein fescher Bursch.“ Da hat sich eine Welle hochgeschaukelt. Mein Eindruck aus der Ferne war, dass sein Zustand damals wohl nicht der beste war. Zu einigen Sendungen hätte er einfach nicht hingehen sollen. Er hat sich da unwohl gefühlt und wirkte wie ein Fremdkörper. Die Germanen haben ihn auch nicht verschont und versucht, ihn ans Kreuz zu nageln, was teilweise geglückt ist, teilweise ist er ihnen entschwunden. Das waren nicht immer freundschaftliche Begegnungen.
ORF.at: Mitte der 1990er konnte man den Eindruck gewinnen, dass Falco die 1980er endlos zelebrierte. War Falco künstlerisch, persönlich in einer Zeitblase steckengeblieben?
Bork: Nein. Vieles wirkt jetzt im Nachhinein so. Aber das sehe ich nicht so. Schon die Musik, die er gemacht hat. Er hat ja eine Menge ausprobiert. Der Hans war immer sehr anfällig dafür, unangenehme Fragen teils manisch anzuziehen. Ich glaube aber nicht, dass er bei den „Kommissar“-Zeiten stehengeblieben ist. Er wusste schon, was draußen vor der Tür passiert, auch wenn er nicht oft vor der Tür war. Ihm zu unterstellen, er wäre in einer 80er-Blase hängengeblieben, ist für mich eine falsche Perspektive.
ORF.at: Falco ist viel herumgekommen: Europa, Japan, die USA. Hat sich sein Blick auf Wien und Österreich dadurch verändert? Wenn ja, wie genau?
Bork: Durch das lange Wegbleiben aus Wien hat sich sicher einiges verändert. Je weiter und je länger er weg war, desto größer war sein Wunsch, wieder nach Wien zurückzukommen. Es gab eine Situation, wo wir uns fragten, wie sinnvoll es wäre, ganz nach Los Angeles zu ziehen. Die Plattenfirma wünschte sich das. Ich habe ein schönes Haus gefunden, Falco sieht es sich an und meint: „Na, ich geh doch wieder zurück nach Wien, die Amerikaner haben keinen Schmäh.“
Diese Suche nach dem Schmäh war vielleicht auch eine pauschale Formel für „sich Wohlfühlen“. Er hat sich in Wien und auch in Gars am Kamp am wohlsten gefühlt. Obwohl er wusste, dass sein Spielplatz die Welt war. Im Song „Amerika“ hat er ja wunderbar verarbeitet, was er von den Amerikanern hält, dass er sie nicht so ernst nimmt. Trotzdem hat er kapiert, dass er dort sehr viel Geld verdienen kann und auch viel verdient hat. Aber das reichte nicht, um ihn aus Wien herauszulocken, dorthin zu gehen und vielleicht eine noch größere Karriere zu machen. Wäre er mehr vor Ort gewesen, hätte er die auch machen können, keine Frage.
ORF.at: Ist die Sehnsucht nach dem Wiener Schmäh als Chiffre für „Heimat“ mit einer Desillusionierung Amerikas einhergegangen?
Bork: Er hatte von Anfang an ein gespaltenes Verhältnis zu Amerika. Er hat sich über die Oberflächlichkeit und die aufgesetzte Freundlichkeit dort wahnsinnig mokiert. Wenn er dort war, war er immer wieder froh zurückzukommen. Das ging ihm aber auch in London so. Er war halt durch und durch Österreicher und Wiener. Er hat sehr wohl gesagt, jetzt muss ich wieder raus, mach mich wichtig und erzähle meine Geschichten, aber ich freu mich schon wieder, wenn ich wieder zu Hause bin. Das war überall auf der Welt gleich.
ORF.at: Es gab eine Falco-Videodreh im berühmten Chelsea Hotel, das vor Rock-and-Roll-Mythen nur so strotzt. Dort hat er den Hip-Hop-Pionier Afrika Bambaataa getroffen. War das ein bewusstes Andocken an die Pop-Mythologie, gerade dort zu drehen?
Bork: Das Chelsea Hotel wurde von Hannes Rossacher und Rudi Dolezal ausgesucht, sicher auch wegen der Aura und der Geschichte des Hotels. Das Treffen mit Afrika Bambaataa hat die Plattenfirma organisiert. Bambaataa machte aber den Fehler, schon sehr früh an Falcos Tür zu klopfen, um 8.30 Uhr statt wie ausgemacht um 10.00 Uhr. Bambaataa hat jedenfalls mehr bei Falco angeklopft als umgekehrt.
ORF.at: Jeder Künstler, Sportler oder Unternehmer, der auf diesem internationalen Niveau agiert, hat einen unglaublichen Drang, es zu schaffen. Woher kam der ihrer Meinung nach bei Falco? Kann das auch damit zusammenhängen, dass Falco das einzige überlebende Kind von Drillingen war?
Bork: Er hat ja in der Schule immer schon gesagt, dass er Popstar werden will. Diesen Wunsch hat er mit allem Nachdruck und mit aller Hartnäckigkeit verfolgt. Künstler dieser Größenordnung fallen ja nicht vom Himmel oder wachsen am Baum, die brauchen eine Zeit, sich zu entwickeln. Heute gibt’s das fast nicht mehr. Er hatte das Glück, sich in der Hallucination Company, bei Dradiwaberl und Spinning Wheel langsam zu Falco entwickeln zu können. Ab und zu blitzte dann schon dieses Drillingsthema durch, so nach dem Motto: „Mit mir hat ja eh keiner gerechnet.“ Da hatte er noch einen zusätzlichen Antrieb, es den Leuten zu zeigen – das könnte schon sein. In vielen Dingen war er teilweise äußerst phlegmatisch, in anderen dann wieder überproportional fleißig. Da war er schon sehr zerrissen.
ORF.at: Es gibt in ihrem Buch die Episode vom vermasselten Treffen mit Virgin-Boss Richard Branson – hatte Falco diese Tendenz, sich selbst im Weg zu stehen?
Bork: Ich habe selbst lange gerätselt, warum die Virgin-Sache so gekommen und nicht anders verlaufen ist. Ich kann es bis heute nicht perfekt formulieren und habe eher eine „gesicherte Ahnung“. Vielleicht hatte er Angst vor diesen hohen Konditionen. Er hat ja den Druck der Schallplattenindustrie kennengelernt, wenn einmal ein Album wie „Junge Römer“ nicht so geht wie erwartet. Wie schnell man da auf die Müllhalde geworfen wird. Das hat er gelernt. Der Vertrag mit Branson wäre die nächste Stufe gewesen. Meine Ahnung ist, dass ihm das dann wohl zu viel war, auch wenn er auf der anderen Seite stets Verträge mit hohen Lizenzen und hohen Vorschüssen wollte. Dann meinte er wohl: „Ich schleiche mich durch die Küche raus.“ Das ist der Versuch einer Deutung, mehr nicht.
ORF.at: Der Produzent des neuen Musicals, Oliver Forster, und Regisseur Peter Rein meinen, sie würden „eine andere Seite von Falco zeigen: den zerbrechlichen, ängstlichen, sich selbst infrage stellenden Menschen“. Gibt es im Musical einen neuen Blickwinkel auf Falco, oder ist das gar nicht der Anspruch?
Bork: Das ist gar nicht der Anspruch und die Absicht. Das Musical besteht ja nicht aus tiefenpsychologischen Analysen sondern primär aus 20 Falco-Songs. Man hört auch Songs, die man noch nicht so oft gehört hat. Aber es sind auch die ganz großen Hits alle dabei. Dazwischen versucht man, die Seite zu zeigen, die stets etwas verborgen war, nämlich dass er mit vielen Dingen Probleme hatte. Ich denke, es ist nichts Negatives, nicht nur über Chartspositionen zu sprechen, sondern auch einfließen zu lassen, dass er auch mit sich selbst Probleme hatte.
Das Gespräch führte David Baldinger, für ORF.at