Die Museen öffnen wieder ebenso wie die Gastronomie, Baumärkte wurden bereits gestürmt, auch sonst wird an Plänen zur Wiederherstellung des öffentlichen Lebens gefeilt. Die Kulturschaffenden des Landes fühlen sich dabei ignoriert und machen ihrem Ärger im Netz und auf der Straße Luft. Adressatin ist Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne), die alsbald ihre Pläne vorlegen will.
Der Freitag ist der Stichtag für weitere Lockerungen in Österreich. Ab dann dürfen Museen, Bibliotheken, Büchereien und Archive besucht werden, ebenso wie Lokale – freilich unter Sicherheitsvorkehrungen. Sie freue sich, dass ab 15. Mai sukzessive die Museen wieder öffnen werden, so Lunacek am Dienstag im Ö1-Radio. Am Freitag will sie auch einen Fahrplan für die vielen Betroffenen in der Kulturbranche vorlegen. Bisher haben die zahllosen Musiker, Kabarettisten, Festivalveranstalter, die Eventbranche und Freischaffende keine Anhaltspunkte – und seit Monaten keine Einnahmen.
(Der Kommentar im Wortlaut: siehe ganz unten unter „Zusatzinformationen“).
Rettungsschirm gefordert
Unter Schauspielern, Musikern und anderen Kulturschaffenden formierte sich nun auch eine Initiative, die per Petition einen Rettungsschirm für die Branche fordert. Die Auswirkungen der Pandemie auf „Kunst, Kultur, Event- und Kreativwirtschaft sind dramatisch. Unsere Branchen wurden als erste zugesperrt und werden auch zu den letzten gehören, die ihre Arbeit wieder voll aufnehmen können“, hieß es am Dienstag in einer Aussendung.
„Wir wollen keine Bittsteller sein, sondern fordern von der Regierung Unterstützung für alle, die aktuell nicht arbeiten und künstlerisch tätig sein dürfen“, so die Gruppe. In einer Krise wie der aktuellen brauche es von der Politik „besonderes Engagement, Klarheit, Wissen um künstlerische Lebens- und Arbeitsrealitäten, Verlässlichkeit und Mut. Dies vermissen wir aktuell.“
„Missachtung der Branche“
Gefordert wurde eine finanzielle Kompensation für fehlende Ticketverkäufe, Kurzarbeitsregeln für „kurzfristig Beschäftigte“, wie sie sich im Kulturbetrieb zahlreich finden, und eine Verlängerung der Kurzarbeitsregeln sowie der Hilfsfonds, bis all jene, die in der Event- und Unterhaltsbranche tätig sind, ihre Arbeit wieder zu 100 Prozent aufnehmen dürfen. In der vordersten Reihe der Initiatoren fanden sich neben dem Perkussionisten Martin Grubinger auch die Schauspieler Erwin Steinhauer und Adele Neuhauser sowie SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda.
Mitinitiator war auch der Kabarettist Lukas Resetarits. Er hatte in den vergangenen Tagen mit einem Video für Aufsehen gesorgt, am Montag bekräftigte er seine schwere Kritik an Lunaceks Krisenmanagement in der ZIB2. „Ich bin wütend, weil das eine Missachtung unserer ganzen Branche ist.“ Man sei nicht kontaktiert worden, auch wenn sich die gesamte Branche, die den Grünen in der Vergangenheit viel Rückhalt gegeben habe, in der Pandemie vorbildlich verhalten habe, so Resetarits.
Das Video für die Plattform „Ohne Uns – ist es dunkel und still“ von Lukas Resetarits:
Kabarettist Lukas Resetarits bei Armin Wolf (ZIB 2) über sein kritisches Video:
In diese Kerbe schlugen auch die Literaturhäuser Österreichs, die sich mit einem offenen Brief an Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Lunacek wandten. Die aktuelle Situation sei für den literarischen Betrieb eine Katastrophe, weshalb man Planungssicherheit „zum jetzigen Zeitpunkt“ einforderte. Ähnlich äußerten sich am Dienstag acht heimische Orchester in einer an Lunacek gerichteten Stellungnahme – mehr dazu in wien.ORF.at.
Kritik an Vorgehen
In einem offenen Brief hatten sich zudem am Montag über 50 Künstler und Festivalleiter an die Regierung gewandt.
LINK & Original Wortlaut:
Auch sie forderten konkrete Maßnahmen für die Branche. In dem siebenseitigen Brief wurde ein grundsätzliches Bekenntnis zu Kunst und Kultur gefordert und das bisherige Vorgehen kritisiert. „Sie haben nun mit sechswöchiger Verspätung und nach verständlicher medialer Empörung Gespräche mit einigen tatsächlichen ExpertInnen aus der Kunst- und Kulturbranche gesucht. Diese dürften, glaubt man den darüber berichtenden Medien, kontroverse Erkenntnisse und vorerst keine konkreten Ergebnisse gebracht haben“, hieß es darin.
„Deutlich über 100 kleine und mittelgroße Sommerfestivals stehen entweder vor dem saisonalen oder, in Abhängigkeit davon, vor dem kompletten Aus, so sie nicht bereits abgesagt wurden“, so der Brief. Er wurde initiiert von dem Pianisten und Dirigenten Florian Krumpöck, unter den Unterzeichnenden fanden sich auch Theaterdirektoren, Schauspieler, Musiker und Festivalleiter.
Protest der Eventveranstalter auf der Wiener Ringstraße
Mit einem stillen Protest versuchten am Montag zahlreiche Eventveranstalter auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Mit einem Konvoi Dutzender Lkws auf dem Wiener Ring protestierten sie gegen die Unmöglichkeit einer Planung.
Stiletto Stohl, Organisator der Demo der Veranstaltungstechniker, spricht im Interview mit PULS 24-Reporterin Nadja Buchmüller über die Lage bei den Veranstaltungstechnikern, die Maßnahmen der Regierung und den Wunsch für die Zukunft:
Lunacek sagte, ihr seien die Sorgen der Branche bewusst. „Ich höre all das, ich spreche auch mit ganz vielen.“ Etliche Petitionen, offene und andere Briefe erreichten sie, „wo Menschen einfach sagen, wir wollen diese Öffnungen jetzt“. Man arbeite intensiv an einem Stufenplan für Lockerungen. „Da sind noch Details zu klären – und ja, mein Plan ist, dieser Tage vorzustellen, wie die nächsten Monate, Juni und dann auch Juli, August, welche Regeln es hier geben kann“, so Lunacek, Fehler gebe sie „sehr wohl auch zu“.
Auszug aus dem Ö1-Morgenjournal Interview mit Ulrike Lunacek vom 12.05.2020:
Lunacek weist Berichte über Rücktrittsüberlegungen zurück
Einen Bericht des „Standard“ (Onlineausgabe) wies Lunacek unterdessen zurück, wonach sie vor Tagen ihren Rücktritt in den Raum gestellt haben soll. „Ich halte mich nicht mit Gerüchten auf. Ich kämpfe mit aller Kraft weiter, den Kunst- und Kulturbereich gut über die Corona-Krise zu bringen“, sagte sie in einer schriftlichen Stellungnahme am Abend.„Das ist mein Ziel. Ich weiß, wie schwierig die Lage der in der Kunst und Kultur Tätigen ist und nehme die Kritik sehr ernst. Kunst und Kultur sind essenziell für unsere Gesellschaft, sie sind wichtig für die Demokratie und unseren Wirtschaftsstandort Österreich“, so die Staatssekretärin. „Gute Maßnahmen zur Stabilisierung der finanziellen Notlagen und die Lockerungen im Veranstaltungsbereich sind derzeit meine oberste Priorität. Dafür setze ich mich ein.“
TV-Berichte:
ORF ZIB 2 vom 11.05.2020
„Kulturschaffende machen auf Probleme aufmerksam“:
Für viele Bereiche der Kultur gibt es nach wie vor keine konkreten Öffnungspläne. Kulturschaffende machen nun vermehrt auf die Probleme in ihrem Bereich aufmerksam.
Servus TV Nachrichten vom 12.05.2020
„Ärger bei Kulturschaffenden wächst“:
Während es beispielsweise für die Gastronomie inzwischen genaue Vorgaben gibt, wie eine Wiedereröffnung aussehen wird, wartet man im Kultursektor auf diese weiter vergebens.
(Mit Stellungnahmen u.a. von Kabarettist Reinhard Nowak sowie Schauspieler Fritz Karl)
ORF ZIB 1 vom 12.05.2020
„Eventbranche leidet unter Corona-Zwangsmaßnamen“:
Viele Firmenevents, Produktpräsentationen und sogar schon Weihnachtsfeiern mussten wegen den von der schwarz-grünen Bundesregierung verordneten Zwangsmaßnahmen abgesagt werden. Mehr als 140.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Quellen:
PULS 4 Interview vom 11.05.2020
Ö1-Morgenjournal vom 12.05.2020
Ö1-Mittagsjournal vom 12.05.2020
„Ohne Uns“ Video von Lukas Resetarits
Servus TV Beitrag vom 12.05.2020
Zusatzinformationen:
Facebook-Kommentar von Hannes Tschürtz zum Ö1-Interview:
VERZWEIFLUNG.
Im Ö1 Mittagsjournal wurde ich eben gefragt, was man KONKRET für die Musikwirtschaft tun könnte – und ich habe lapidar gesagt: „Die bestehenden Regeln sind auf unsere Industrie einfach nicht anwendbar. Es müsste einfacher, schneller, leichter, direkter Geld geben.“
In der recht kurzen Schaltung war es leider nicht möglich, en detail darauf einzugehen, warum etwa der Härtefallfonds so unzureichend für die Musikwirtschaft ist. Let me explain:
Musiker*innen sind selbständig. Es gibt keinen Gewerbeschein, es fehlt eine echte „Lobby“. Sie müssen sich selbst sozialversichern, haben keinen geregelten Urlaub, sind Unternehmer. Die Umstände ihrer Berufsausübung sind sehr verschieden. Gemein ist den meisten, dass sie sich „irgendwie durchschlagen“. Gelegenheitsarbeiten hier, kleine Aufträge da; mal zwischendurch jobben oder geringfügig angestellt das und jenes machen – damit sie sich ihre Musik überhaupt leisten können.
Nur wenigen ist das Privileg vergönnt, tatsächlich in der finanziellen Sicherheit vergleichbar mit der eines gewöhnlichen Angestellten zu baden. Man ist einigermaßen gewohnt, dass das Einkommen unstet und wenig ist. Meistens so wenig, dass man sich irgendwo an der Armutsgrenze entlang durchschlägt.
Gute Jahre sind keine Garantie für die Zukunft. Meistens sind die Zyklen von Bands mehrjährig und so (klassischerweise Produktion – Album – Promotion – Tournee – Pause – und von vorne), dass sich Phasen der Investition mit Phasen der überdurchschnittlichen Einkommen abwechseln (wie im Übrigen analog auch wir als Label/Management/Verlag). Das ist vor allem steuerlich und sozialversicherungsseitig ein steter Alptraum.
Und das Härtefallfonds-Prinzip „Fixkostenersatz“ greift in so einem Modell natürlich nicht. „Habe von der Hand in den Mund“ gelebt kommt dort ebenso wenig vor wie „habe 10.000 Euro in den Start eines neuen Zyklus investiert“. Stell dir vor du baust eine spektakuläre Domino-Day-Landschaft in eine große Halle, hast nächtelang geschuftet und vom Gelingen hängt dein Einkommen der nächsten drei Jahre ab. Du bist kurz vor dem Fertigwerden, als plötzlich die Katze des Nachbarn durch die Halle zu sausen beginnt.
Jede Band (wie auch wir) ist ein Investitionsbetrieb, ein Risk Taker; Forscher und Entwickler, Erfinder. Das Nutzen dieser Erfindungen wird jetzt situationsbedingt verunmöglicht: Das Publikum ist der Treibstoff zu alledem. In praktisch jeder Strategie drehen sich sämtliche Elemente um das Live-Erlebnis – denn dort ist am Nachhaltigsten ein Effekt auszulösen und ja, auch Geld zu verdienen. Es ist hartes Brot, dass wieder mit Investitionen und Risiko (auch wiederum von uns) gestützt werden muss – ohne Gewissheit, ob es sich jetzt besser, anders oder leichter ausgeht.
Man schneidet der Musikwirtschaft nicht die Hand ab, sondern den Körper – die Hand bleibt übrig. Denn die Folge mangelnder Investitionen sollte jedem wirtschaftlich denkenden Menschen klar sein: Es löst eine ganze Kette an Reaktionen aus – Management, Lokalitäten, Gastronomie, Tourismus; Ton- und Lichttechnik… you name it.
Dazu wird das jahrelang mühsam erkämpfte und aufgebaute Know-How in der umgebenden Infrastruktur aufs Spiel gesetzt, denn viele werden die Musikwirtschaft notgedrungen verlassen müssen. Ohne großzügige finanzielle Unterstützung wirft uns diese Geschichte gut 20 Jahre zurück.
Dabei waren gerade in den letzten Jahren durch die ganze mühsame Aufbauarbeit Berufszweige entstanden, die vor 10, 15 Jahren als ernsthaftes Berufsbild denkunmöglich waren: Tourmanager, Busverleiher, hochprofessionelle, international gefragte Produzenten, Ton- und Lichttechniker und so weiter. In Österreich sind rund 200.000 Leute in diesem Umfeld tätig. Der blühende Lehrgang Musikwirtschaft hat knapp 100 Alumni, von denen viele selbst Unternehmen gründeten oder bei wachsenden solchen untergekommen sind.
Wie im Journal heute werde ich viel gefragt:
Was kann man denn tun?
Nun:
1) Die Quelle finanziell absichern. Zum Beispiel, indem man den Musiker*innen die Ausfälle auf ihre gemittelten Jahreseinkommen der letzten Jahre ausgleicht.
2) Die Infrastruktur schützen. Zum Beispiel, indem man die Abhängigkeit von Einkommen von Künstler*innen (Agenturen) stützt oder auffängt, da sie ihrer Einkommensgrundlage entzogen wurden. Zum Beispiel, indem man Veranstaltungslokale von WUK bis Chelsea und von Spielboden Dornbirn bis Cselley Mühle strukturell und nachhaltig stützt und so auch für die Zukunft erhält.
3) Die Zukunft mitdenken. Zum Beispiel indem man gerade jetzt intensiv und nachhaltig auf massiv verstärkte Professionalisierung, Ausbildung, Vernetzung, Produktion und Vermarktung setzt. Nur so kann man die Schockstarre für ein „danach“ verkürzen. Tut man es nicht, sind wir auf Jahre hinaus gelähmt.
4) Modelle für Investitionskapital schaffen, wie man es etwa aus der Startup-Welt kennt. Damit man Musik endlich auch als wirtschaftlich relevantes Gut erkennt, an dem in vielen Etappen sehr, sehr viele Arbeitsplätze hängen. (Wir sprechen hier von rund 9 Mrd. € Wertschöpfung, die am Event-Zweig alleine hängen – das ist nicht nichts.)
Discuss.