Buchauszug: „Ungebetene Besuche“ – Porträts und Reportagen – 2000

Aus dem Buch ‘Ungebetene Besuche’ von Margit Sprecher

Wer sich retten tut, hat zum Untergang kan Mut

Vor ein paar Jahren füllte der österreichische Sänger Falco Hallenstadione. Dann wollten nur noch hartgesottene Fans den *Nachtflug* mit ihrem Idol in halbleeren Nachtclubs antreten. Wie hier in Zürich, einer seiner letzten Auftritte vor seinem tödlichen Autounfall.

Beim Warten auf den Stargast kippen Dahdecker vom Dach und Soldaten aus Reih und Glied. Ein Kind plumpst ins Klo, der Christbaum auf den Weihnachtsmann. Es fallen Frauen in Tiefkühltruhen und Männer in Bierfässer. Fettes Gejohle quittiert jeden Surz, das Publikum amüsiert sich, die Füsse auf die Nachtlokaltische, die Hände um Freundinnen und Gläser gelegt, zu Tode über die Reality-Missgeschicke auf der Leinwand.

Doch der ganz grosse Sturz, noch mehr live, steht dem Publikum erst bevor: Falco, ehemals berühmtester österreichischer Popstar, ist angesagt. Vor sechs Jahren hatte er das benachbarte Hallenstadion mit 16 000 Fans gefüllt. Jetzt tritt er im ‘Blackout’, einem Nachtlokal in Kloten, auf. 1200 Plätze wären zu haben gewesen. Verkauft wurden dreihundert. “Ja, gibts denn Falco noch?” fragen 16jährige verwundert, denen seine Hits wie *Rock me Amadeus*, *Der Kommissar* und *Jeanny* noch schwach in den Ohren klingen.

In Falcos Heimatstadt Wien blieb man natürlich besser informiert. Dort berichtete die Boulevardpresse laufend über seine Eskapaden. Über Frauen beispielsweise, alle “möglichst gross, möglichst blond und etwas tuberkulös”, wie er sein bevorzugtes Modell schildert. Und man sah ihn sturzbetrunken in Hotellobbies herumliegen. “Nach drei Uhr Mittags mach ich kein Interview mehr mit ihm”, warnt ein österreichischer Kollege. “Später ist er stockbesoffen.” Noch ergiebiger waren seine Liebesaffairen. Mit Brigitte Nielsen zum Beispiel, die, so Falco, “genau der Mann war, der ich immer sein wollte”. Oder mit seiner Ehefrau Isabella, “die falscheste Frau für mich, mit der ich in der falschesten Zeit ein richtiges Kind zeugte.” (*News*). Was ihn an seiner Gattin besonders nervte, war ihre Phantasielosigkeit in Sachen Ehekrach: Stets raffte sie das Kind an sich und rauschte zu ihren Eltern nach Graz ab. Imagemässig, klagt er, hat ihn der Ausflug in die Kleinbürgerlichkeit einer Ehe “um Lichtjahre” zurückgeworfen. Mittlerweile ist das Kind sieben, die Ehe geschieden und der schlechte Ruf erneut hergestellt. Das Animiermädchen Silvia Wagner aus *Ninas Bar* rückte alles wieder ins rechte Licht, “wenn auch ins Rotlicht”.

Doch sonst klappt nichts mehr. Falco bleibt abgeschoben in die Klatschspalten, auch wenn er alles tut, um ins ernsthafte Gerede zu kommen. Er entzückt die Journalisten mit Bösartigkeiten über Kollegen aus der verachtet-larmoyanten Austro-Popszene: Udo Jürgens, der “schon immer ein Berufsjugendlicher war”, Ambros, der “inzwischen seinen Job gelernt hat”. Oder Lieblingsopfer Fendrich, bei dem “siebzigjährige Damen verzückt den Kopf schütteln: so ein Schlingel, dieser Bub….” Auch sich selbst schont er nicht, lässt körperlich und seelisch Hüllen fallen: Mit seiner Freundin posiert er nackt, bekennt, dass er selbst “bei intimeren Verrichtungen im Bett” Fernsehen schaut, nennt sich einen Knecht seiner selbst, seiner Drogensucht.

“Gnade und Fluch des frühen Hits”, seufzt er. Hat halt alles viel zu früh gehabt. Stand mit *Rock me Amadeus* drei Wochen lang als erster Europäer auf Platz 1 der amerikanischen Top-Hitparade, kam mit zwei weiteren Titeln in die ersten zehn, hat mit dreissig 37 Millionen Tonträger verkauft, eine Goldene nach der anderen gemacht und Millionen auf dem Konto. Ganz Kind des Ronald-Reagan- und Magaret-Thatcher -Jahrzehnts, spricht er distanziert wie ein Banker über sein “eher konserativ angelegtes Vermögen”. Das Geld hat er grösstenteils in Zellstoff-Industrie-Aktien investiert sowie in eine Villa in Gars. Und das doppelstöckige Penthouse in Wien kostete drei Millionen Franken, ist zur Zeit für 10 000 Franken monatlich an einen Ölscheich vermietet.

Auch seine jüngsten Lieder haben ihre Wurzeln noch immer im kühlen Karrierejahrzehnt, den Achtzigern, als die Yuppies noch Cüpli tranken und sich in Kleidern, die nicht von Armani oder Versace waren, deplaziert fühlten. Recht fremd steht denn Falco mit seinem coolen Schmäh in der zunehmend wärmer und herzlicher werdenden Poplandschaft: Zombie des letzten Yuppies, der noch immer singt: *Besser neureich als nie reich sein und in Gesellschaft nicht allein* und lobt, dass *eine Rolex manche Wunde heilt*. Er findet die wohlige Wehmut und neue Gemütlichkeit verlogen, die Hip-Hop-Bewegung eine scheinpolitische Heuchelei, die neue Luxusaskese, die alle Missstände übertüncht, zu opportunistisch.

Erst erklärte er die Stille um sich herum mit: “Ich brauche niemandem mehr etwas zu beweisen.” Dann liess er sich von zwei Leibwächtern begleiten. Um zu vertuschen, vermutet ein österreichischer Freund, dass er nicht mehr angeredet wird, dass niemand mehr etwas von ihm wissen will. Und jetzt ist er 36, hat seit 6 Jahren keinen Hit mehr produziert – und endlos dehnt sich das Leben. Früher wechselte das ab: “Leistung bringen und dann auszucken.” Jetzt bleibt nur noch das Auszucken. Das Mitleid mit ihm hält sich in Grenzen. Kollegen mit weniger Erfolg vergessen nicht, dass er immer schon “mit doppeltem Strahl zurückgegeben” hat, wenn einer versuchte ihn anzupinklen.

Ein erstes Comeback hat er vor zwei Jahren versucht. Damals musst die Tournee mangels Interesse abgesagt werden. Jetzt wagt er’s noch einmal, mit einer Minireise gewissermassen, die sich nicht weiter als bis Zürich wagt, nicht länger als zwei Wochen dauert, und wo er an so seltsamen Orten wie im *Fohlenhof* in Ebbs oder im Freizeitzentrum in Oberpullendorf auftritt.

Er war, sagt der *Blackout*-Betriebsleiter, billig zu haben. 16 000 Franken kostet sein Auftritt. Dafür bringt er 20 Techniker und Musiker mit und singt 24 Lieder. Der Vorverkauf ging schleppend, das Lokal ist zur Hälfte leer. Schon am ersten Tourneetag in Österreich war die Stimmung lau gewesen. Doch Falco bleibt Herr der Situation. Mit formvollendet eleganter Geigenbogenbewegung bittet er die Presse ins kahle Untergeschoss des *Blackout* und gibt unter Heizungs- und Entlüftungsrohren Interviews. Das Haar ist nach Dachsart glatt zurückgekämmt, das Auge blickt gebremst verwegen. Ja, er ist fit, joggt täglich mehrere Kilometer, trinkt nur Wasser. Um gleich zu beruhigen: “Doch wer Falco kennt, weiss, dass sich das wieder ändert.” Jetzt aber ist gebündelte Kraft von Nöten. Denn er kommt, sagt er, “ohne Rückenwind, ohne Hits, mit leeren Hosentaschen”, und klopft auf seine Flanke, dessen neue Fülligkeit üppig verteile Bundfalten kaschieren. Vor sechs Jahren, damals im Hallenstadion, wären dreihundert Leute eine Katastrophe gewesen. “Heute darf mich das nicht interessieren.” Denn er sieht seinen Auftritt als therapeutische Massnahme. Seine Musiker, die keine Therapie benötigen, tröstet er mit Geld über leere Sääle und lahme Stimmung hinweg. 25 000 Franken kostet ihn ein Auftritt. Was soll’s. Wenn ihm der Einstieg gelingt, wenn’s diesen Sommer in den neuen Bundesländern klappt, wo sein Ruhm, dank dem damals verbotenen *Kommissar* noch immer gross ist und die Menschen nicht nur begeistert, sondern auch dankbar sind, will er endlich in Harmonie mit sich selbst leben.

Auf seiner neuen CD *Nachtflug* – auch sie geht nicht gut – posiert er im bodenlangen, schwarzen Mantel, ein düsterer, dämonischer Mephisto mit gewaltigem Umhang und gewaltiger Geste, der singt: *Wir wollen das Böse / das unendlich Böse / lieben auch die Angst. / Wir wollen die Vernichtung / exzentrische Verdichtung /des seichten, dümmlich Süssen / mögen unsre Nachbarn nicht.”

Sein Auftritt im Blackout ist ähnlich dämonisch. Im strengen Hemd und strenger Hose, halb Butler, halb Herrenreiter, greift er nach dem Mikrophon und lenkt die lahm zuckenden Tanzenden mit knappen Bewegungen, zwingt ihnen Willen und Phon auf. Es glänzt der messingbeschlagene Gürtel, nicht aber seine Stirn. Durchtrainiert, wie ein Olympia-Athlet vor einem Altersturnverein, steht er vor seinem trägen Publikum und wirft ihnen, ohne Erklärungen und Überleitungen, 30 Songs, Biss und Rotz, kalt und glitzernd, an den Kopf wie Knochen vor ein Rudel Hunde: *Die Titanic sinkt in Panik / ganz allanig /aber gut. /Denn wer sich retten tut / hat zum Untergang kan Mut.* Sogar sein Dank wirkt noch verächtlich.

Die Komplimente, die er später bekommt, sind vor allem sportlicher Art: Zwei Stunden lang nonstop gesungen, und sein Hemd ist so gut wie trocken.

(1993)

Auszug aus dem Buch: Ungebetene Besuche: Porträts und Reportagen von Margrit Sprecher

©2000 by Suhrkamp-Verlag, FfM
ISBN 3-518-39523-8