Walter Gröbchen
Ein paar Worte zur Popgeschichte im allgemeinen und zu Markus Spiegel im besonderen
Von: Walter Gröbchen – Blog „Grob. Gröber. Gröbchen.“ – 28. November 2022
Liebe Festgemeinde! Lieber Markus!
Ich werden eines gewiss nicht tun: Dich – und Sie alle zusammen hier – mit einer langen Rede behelligen.
Denn das ist die erste und wichtigste Lektion in jenem Komplex, der sich Entertainment-Business nennt, Unterabteilung Musikindustrie: Du darfst nie langweilen. Du darfst Dir so ziemlich alles erlauben, aber Du darfst nicht die Aufmerksamkeit Deiner Zuhörerinnen und Zuhörer, Deiner Zuschauerinnen und Zuschauer verlieren. Wenn Du sie einmal gewonnen hast. Und das ist die härteste Aufgabenstellung. Gewinne die Aufmerksamkeit, die Sympathie und am Ende eventuell gar die tiefe, überlebensgroße Verehrung Deines Publikums. Und halte die Flamme am Leben.
Ich hab’ mir überlegt, was an meiner Statt jener Mann hier sagen würde (respektive: gesagt hätte, wäre er noch unter uns), jener Mann, mit dem Markus Spiegel sein halbes Leben lang assoziiert wird: Hans Hölzel alias Falco. Ich ahne es: er hätte – Konjunktiv! – gesagt „Markus, I brauch’ an fetten Scheck, des beflügelt meine Fantasie am stärksten. Am allerstärksten! Danke schon im Voraus – und das Buffet ist hiermit eröffnet.“
So etwas in der Art, in seinem typisch näselnden Tonfall. Falco eben. Und hinterdrein ein krachendes Lachen. That’s Entertainment! Das ist Pop. Und, ja, es ist auch Business. Das eine funktioniert nicht ohne das andere.
Womit ich mich zu der Behauptung aufschwinge, dass es ohne Markus Spiegel möglicherweise auch Falco nicht gegeben hätte. Jedenfalls nicht als jenen Überflieger, wie wir ihn gekannt haben. Alte Branchenregel: am Anfang stehen immer Einzelpersonen, die Dir die Tür öffnen. Wolfgang Strobl etwa, Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Mitarbeiter bei GIG Records, der – wenn die Geschichte stimmt – Markus auf Drahdiwaberl und Falco aufmerksam gemacht hat. Oder Stefan Weber, Bandleader von Drahdiwaberl und damit auch von Falco, der hier erstmals auf professionelles Feedback stiess. Oder Robert Ponger, der erste visionäre Musikproduzent im Umfeld aller Protagonisten dieser Story. Und so weiter und so fort.
Das erste Mal in meinem Leben bin ich Markus Spiegel begegnet, als ich ihn als Redakteur einer Schülerzeitung zu einem Inserat überreden wollte. In einem heutigen Zuckerlgeschäft am Südtiroler Platz im vierten Bezirk, das damals die Firmenzentrale seines Labels GIG Records war. Man muß dazu sagen: sonstige Indie-Labels gab es Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts kaum, nur fade, lokal weithin untätige Major-Plattenfirmen. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: er bat den ganzen Schippel an Mittelschülern, die da in sein Büro vorgedrungen waren, in einen Hinterraum und spielte uns „That Scene “ vor, die englischsprachige Version eines Songs, den ich schon kannte: „Ganz Wien“. Dazu hüpfte er ungeduldig durch den Raum. Na? Na? Na, was sagt’s? Ich sagte: kenn ich schon; Stefan Weber war mein Zeichenlehrer. Falco hab’ ich schon die Hand geschüttelt. Aber wenn Du uns ein Inserat gibst, schreiben wir, es wird ein Hit. Markus Spiegel gab uns das Inserat – und es wurde ein Flop. Der wirkliche erste Hit, „Der Kommissar“ kam erst drei Monate später. Da war ich dann schon bei Ö3. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was ich andeuten möchte: ohne diese Spiegeltypische Kombination aus striktem Enthusiasmus, persönlichem Einsatz und, ja, auch einem notwendigen, aus Privatmitteln höchst risikoreich aufgebrachten Budget wäre vielleicht auch etwas passiert. Vielleicht wäre irgendwann mal eine Falco-Single herausgekommen. Eventuell auch ein Album. Aber wahrscheinlich nicht so rasch, so stilsicher und so entschieden mit einer Ahnung des Kommenden, des Möglichen beflügelt. Österreich war – und ist – nicht das ideale Pflaster, um Pop-Weltkarrieren zu befördern. Auch wenn mit dem „Kommissar“ dann ein erster weltweiter Pop-Hit und mit „Rock Me Amadeus“ anno 1985 die erste US-Nummer 1 der Billboard Charts gelang. „Millionen glauben an den Zusammenhang von Schweiß, Gefühl und Ehrlichkeit“, haben einst die deutschen Falco-Zeitgenossen Fehlfarben gesungen. „In Wahrheit zählt nur die Kunst des Zitats. In Wahrheit zählt nur der richtige Moment.“
Es war fast im Alleingang ein Mann, der da rasch gelernt hat, über den Tellerrand hinaus zu denken, zu agieren und zu investieren – eben Markus Spiegel. Als ehemaliger AZ-Filmredakteur hatten ihn immer schon Film-Soundtracks fasziniert, er begann mit dem Import von Schallplatten und rasch waren drei Shops eröffnet, wo sich Discjockeys und Musikfans mit Material versorgen konnten. Disco war angesagt, Hary Thumann der erste lizensierte Künstler, Katalognummer GIG 111 100. Die nächste Single war dito einschlägige Importware aus den USA: „Willie & The Handjive“ von den Warriors. Dann kamen schon Karl Ratzer und Drahdiwaberl. Und dann Falco.
Ich habe vorhin fasziniert der tönenden Collage von Thomas Rabitsch gelauscht (Thomas war ja auch bei Drahdiwaberl und ein enger Weggefährte von Falco bis zum Schluß) … Da wurde in einem höchst liebevoll und kunstfertig fabrizierten Schnelldurchlauf eine Label- Laufbahn und Produzenten-Karriere abgespult, die meiner Einschätzung nach – und ich sage das nicht, um Markus zu schmeicheln, sondern mit fast schon wissenschaftlicher Akkuratesse – die österreichische Populärmusik über zwei Jahrzehnte hinweg geprägt hat. Und zwar wirklich entscheidend geprägt hat. Ohne Markus Spiegel und seine sprichwörtliche Goldene Nase sähe die Sache anders aus. Ich war selbst lange genug in der Musikindustrie, um sagen zu können: so einen Erfolgslauf, so eine Kontinuität und solch eine künstlerische Diversität hat niemand sonst zusammengebracht in diesem Land.
Im Business gilt die alte Regel: Du produzierst zehn Singles oder Alben, acht davon werden ein Flop und kosten Dich eine Stange Geld, eine Produktion finanziert sich mit Ach und Krach selbst – und eine geht durch die Decke. Langjähriger Branchenschnitt. Markus hat diese Regel außer Kraft gesetzt. Ich nenne nur ein paar Namen: Bilgeri, DÖF, Chuzpe, The Vogue, Dana Gillespie, Klaus Prünster, Lukas Resetarits, Joesi Prokopetz, Kottans Kapelle, Stefanie Werger, Supermax, Club 69, Phil Edwards, Giorgio Moroder, Edelweiss, Mini Bydlinski, Die Hektiker, Heli Deinboek, Beat 4 Feet, Count Basic, die Aphrodelics, Dubble Standart, Schönheitsfehler, Lynne Kieran, Leena Conquest & HipHop Finger, Triology, Marianne Faithful, Heinz aus Wien, Wolfgang Ambros, Sandra Pires, Uwe Kröger, Oskar Werner. (Und da hab’ ich sicher einige vergessen…)
Selbst Produktionen wie etwa „Swound Vibes“ von den Moreaus gingen – obwohl kommerziell ein ordentlicher Bauchfleck – in die Geschichte ein: es handelt sich um das erste heimische HipHop-Album, erschienen 1990. Mit dabei „big names“ der österreichischen Musikhistorie: Peter Kruder, Rodney Hunter, Martin Forster und Stefan Biedermann alias DJ Danuebe Superleiwand, DJ DSL. Produziert hat es, da schließt sich einmal mehr ein Kreis: Thomas Rabitsch.
Ich hatte ja selbst auch die Ehre, Anfang der Neunziger fast drei Jahre lang Teil der GIG Records-Crew zu sein, als dem ORF entfleuchter Abenteuerlustiger, der unbedingt wissen wollte, wie die Musikindustrie funktioniert… Zu nennen in dieser Crew, ja fast Familie wären unbedingt noch Elisabeth Haas und Ulli Winkler, Eddi Charwath, Peter Rauhofer, Heinz Nessizius, Alexandra Stroh, Werner Geier, Rodney Hunter, Alexander Spritzendorfer und andere; ein branchenübliches Kommen und Gehen. Frelich gab es da auch Fusionen und Fortentwicklungen: aus GIG Records wurde Reverso, dann kam der Major BMG ins Spiel, heute gehören die Rechte fast aller Produktionen Sony Music Entertainment. Und, ja, da wird mit Falco & Co. immer noch ein Batzen Geld verdient. Markus selbst wurde gesetzter, klassischer, seriöser Record Man – mit Thomas Rabitsch etwa hat er bezeichnenderweise Mitte der Nullerjahre das Label Serious Entertainment gegründet, auf dem die wunderbaren zwei späten Alben von Hansi Lang erschienen, unter dem Namen The Slow Club.
Dass Markus Spiegel parallel dazu und heute immer noch vor und hinter den Kulissen sehr rege tätig ist – als Juror (zuerst beim ORF Castingwettbewerb „Starmania“, heute etwa beim Österreichischen Musikfonds –, als A&R-Berater, als Kolumnist und Kommentator, ist nicht nur dieser langen, unvergleichlichen Laufbahn zu verdanken, sondern unzweifelhaft auch der Person Markus Spiegel.
Man kann es Glück nennen, man kann es Zufall nennen oder Schicksal, wenn einem eine solche professionelle Bilanz glückt. Ich nenne es eine sehr komplexe, höchst gelungene, ungebrochen quirlige Mischung aus Kompetenz, Mut, Fleiß, Beharrlichkeit, Kommunikationsfähigkeit, Esprit, Lust an der Musik und ihren Schöpfern und Akteuren. Also: am Kern der Sache selbst. Und, ja, meinetwegen: Glück gehört auch dazu. Immer.
Unser Glück ist es, dass wir Dich als Musikfans, als Hörerinnen und Hörer, als Künstlerinnen und Künstler, als Journalisten und Branchenkollegen, als stille oder auch vorlaute Bewunderer begleiten durften und bis heute dürfen. Vivat Markus! Und: danke.
Quelle: Walter Gröbchen – Blog „Grob. Gröber. Gröbchen.“