Wie aus Elementen des Rap eine eigene österreichische Hip-Hop-Musiklandschaft entstand
Ein Blog von Frederik Dörfler-Trummer (Autor-Info: siehe am Ende des Artikels)
Der Standard – 16. April 2021, 10:00 Uhr
„Sie rappen hin, sie rappen her, dazwischen kratzen’s ab die Wänd‘.“ Mit diesen Worten machte Hansi Hölzel 1981 unter seinem gerade angenommenen Pseudonym Falco erstmals auf eine neuartige, aus New York stammende Musikrichtung aufmerksam: Hip-Hop. Hip-Hop bezeichnet sowohl eine Kultur mit unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen (allen voran Breakdance, Graffiti, DJing und Rap) als auch die Musikrichtung, aus der heraus sich die Kultur entwickelte.
Mit der Veröffentlichung von „Der Kommissar“ 1981 legte Falco nicht nur den Grundstein für seine Karriere, sondern integrierte als erster österreichischer Musiker Elemente von Hip-Hop-Musik – vor allem den dafür typischen Rap – in sein eigenes Schaffen. Er wird deshalb auch immer wieder als der erste weiße Rapper bezeichnet, wobei das zu relativieren ist. Trotz seiner offensichtlichen Beeinflussung durch die Hip-Hop-Musik stand er musikalisch Funk-Musikern wie James Brown oder Rick James, die gerne als wichtige Vorläufer für Hip-Hop bezeichnet werden, näher als den nachfolgenden Rapperinnen und Rappern.
Von Falco zur EAV
Auch die zweite Formation, die sich von Hip-Hop für ihre Musik inspirieren ließ, war nie Teil der Hip-Hop-Kultur und bezog sich meist eher humoristisch darauf: Die Erste Allgemeine Verunsicherung. In ihrem Song „Alpenrap“ von 1983 verarbeiteten sie auf humorvolle Weise das Zusammentreffen des jodelnden Alpensepp mit einem Musikproduzenten aus New York. Musikalisch sowie Rap-technisch baute der Song auf den ersten internationalen Hit der Hip-Hop-Musik „Rappers Delight“ der Gruppe Sugarhill Gang von 1979 auf.
Wie die EAV stammten auch andere bekannte Gruppen der 1980er, die in ihre Musik Hip-Hop-Elemente einbauten, aus dem Bereich des Rockmusik-Theaters. So veröffentlichten Drahdiwaberl 1983 (zusammen mit Falco) den Song „Die Galeere“, in dem gerappt anstatt gesungen wurde. Auch die Hallucination Company – eine weitere von Falcos ehemaligen Gruppen – brachte 1988 mit „Karli Prohaska is my Name“ einen gerappten Song heraus. Daneben integrierten österreichische Underground-Gruppen aus dem Bereich der elektronischen Tanzmusik mit Tracks wie „MC Sucker ’84“ der M.C. Sucker Crew oder „Get Up“ der Gruppe „O“ Elemente dieses originären New Yorker Musikstils in ihr Schaffen. Diese ersten Experimente mit Hip-Hop-Musik in den 1980er Jahren blieben jedoch Einzelfälle und führten noch nicht zur Etablierung einer heimischen Hip-Hop-Szene.
Das erste österreichische Rap-Album
Auch die Formation, die 1990 durch die Veröffentlichung des ersten österreichischen Hip-Hop-Albums „Swound Vibes“ einen wichtigen Beitrag für Hip-Hop-Musik aus Österreich leisten sollte, war zu Beginn musikalisch näher am Rockmusik-Theater als am Hip-Hop. Dr. Moreaus Creatures nannte sich das bunte Kollektiv rund um den Sänger Martin Forster alias Sugar B, das nach dessen Aussage eine Mischung aus „Funny-Metal-Country-Disco-Speed“-Musik spielte. Nach einem New York Aufenthalt kam Sugar B „Hip-Hop-infiziert“ zurück und überzeugte die verbleibenden Bandmitglieder Peter Kruder, Rodney Hunter und Stefan Biedermann alias DJ DSL sich fortan unter dem Namen The Moreaus dieser Musikrichtung zu widmen. Mit Unterstützung von Thomas Rabitsch sowie Markus Spiegel von GiG-Records erblickte so im Jahr 1990 das erste offizielle (noch rein auf Englisch gerappte) österreichische Hip-Hop-Album „Swound Vibes“ das Licht der Welt.
CD-Cover von The Moreaus – „Swound Vibes“ (1990)
Foto: GiG Records
DJs und die Ö3 Music Box: Eine österreichische Hip-Hop-Szene entsteht
Die Initialzündung für die Entstehung einer heimischen Hip-Hop-Szene kam jedoch nicht allein vonseiten der Musikerinnen und Musiker, sondern auch von DJs und Radiosendern. In den 1980ern versuchten erste DJs, wie etwa die bereits genannten Sugar B und DJ DSL oder auch BTO Spider und später Werner Geier alias Demon Flowers, Hip-Hop-Musik dem österreichischen Publikum (meist mit mäßigem Erfolg) näherzubringen. Vor allem DJ DSL und Werner Geier sollten als Teil der Radiosendung „Tribe Vibes and Dope Beats“, die 1990 im Rahmen der „Ö3 Music Box“ erstmals ausgestrahlt wurde, einen wichtigen Beitrag zur Etablierung einer österreichischen Hip-Hop-Szene beitragen. Erdacht und ins Leben gerufen wurde die Sendung jedoch von Katharina Weingartner, die nicht nur DJ DSL als DJ für die Sendung engagierte, sondern in weiterer Folge Geier erst davon überzeugen musste, ihr 15 Minuten der Music-Box-Sendezeit zu überlassen. Geier war von dem Format bald derart begeistert, dass er 1991 als Moderator einstieg.
Weingartner steuerte – mittlerweile in New York lebend – Interviews mit aufstrebenden Gruppen wie A Tribe Called Quest oder dem Wu-Tang Clan bei und versorgte DJ DSL mit aktuellen Platten aus New York (die häufig in Europa noch nicht erhältlich waren). Die Sendung wurde für manche österreichischen Hip-Hop-Fans zum „wöchentlichen Gottesdienst“. So verwundert es auch nicht, dass der von Tribe Vibes ausgerufenen „Freestyle Contest“, der im Dezember 1991 im Volksgarten stattfand, vielfach als der Startschuss für die Entstehung einer österreichischen Hip-Hop-Szene gesehen wird. Aus diesem Contest entstand mit der Compilation „Austrian Flavors Volume 1“ die erste überregionale Werkschau heimischer Hip-Hop-Schaffender, die die endgültige Etablierung von Hip-Hop-Musik in Österreich markiert.
Compilation „Austrian Flavors Volume 1“ (1992)
Foto: ORF
Um den Kreis zu schließen, soll noch auf einen Juror des Freestyle-Contests hingewiesen werden, der neben Pete Rock & CL Smooth, Rudi Dolezal und Markus Spiegel die ersten Gehversuche österreichischer Hip-Hop-Artists bewerten sollte. In der Jury saß ein gewisser Hansi Hölzel, der zehn Jahre zuvor mit den Worten „sie rappen hin, sie rappen her“ erstmals auf diese neuartige Kultur aus New York hingewiesen hatte. (Frederik Dörfler-Trummer, 16.4.2021)
Quelle:
Der Standard – Online Blog vom 16.04.2021
Zum Autor:
Frederik Dörfler-Trummer studierte am Institut für Musikwissenschaft an der Universität Wien, bevor er an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW) 2019 sein Doktorat mit der Dissertation „Hip-Hop-Musik aus Österreich. Lokale Aspekte einer globalen kulturellen Ausdrucksform“ abschloss. Die Dissertation wurde mithilfe des Post-Doc-Track-Programms der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) für die Buchpublikation adaptiert und erschien 2021 mit zusätzlicher Unterstützung durch den FWF (Österreichischen Wissenschaftsfonds) beim Transcript-Verlag. Im WS 2020 fungierte er als Gastdozent an der MDW. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit gibt er Hip-Hop-Workshops an Schulen und ist als DJ und Musiker tätig.
Literaturhinweise
- Frederik Dörfler-Trummer (2020): HipHop aus Österreich. Lokale Aspekte einer globalen Kultur. Bielefeld: Transcript-Verlag:
- „The Message Magazine“: Einziges österreichisches Hip-Hop-Magazin
- „FM4 Tribe Vibes“: Seit der Gründung 1990 die wichtigste österreichische Hip-Hop-Radioshow. Donnerstags von 22–24 Uhr auf FM4.